Gehirnfluesterer
»älter«? Und welchen
V W-Käfer finden wir so richtig »süß«?
Sich der Verantwortung stellen
Im Jahr 2009 führte Melanie Glocker am Institut für Neuro- und Verhaltensbiologie der Universität Münster ein Experiment durch,
um die Theorie von Konrad Lorenz zu testen. Finden wir das Kindchenschema wirklich besonders anziehend, und wenn ja, wie spiegelt
sich das im Gehirn wider? Glocker benutzte eine ähnliche Methode wie Morton Kringelbach, zeigte den Probanden Bilder von Neugeborenen
und ermittelte die Gehirnaktivitäten mit Hilfe der Magnetresonanztomographie. Aber sie ging einen Schritt weiter. Bei Kringelbach
waren die Bilder alle original, Glocker machte mit Hilfe eines speziellen Bildbearbeitungsprogramms manche Gesichter »kindlicher«
als andere. Die Abbildung auf der gegenüberliegenden Seite zeigt zwei Kleinkindgesichter: links mit reduziertem Kindchenschema,
in der Mitte unbearbeitet, und rechts mit verstärktem Kindchenschema.
Das Ergebnis war genau so, wie Lorenz es vorausgesagt hätte. Je ausgeprägter das Kindchenschema, das heißt, je größer und
runder die Augen und je runder das Gesicht, desto größer war die Aktivität im
Nucleus accumbens
, dem Teil der Gehirns nahe der Amygdala, der bei Menschen und Tieren Belohnung signalisiert. Es gibt nicht nur ein Kindchenschema,
entdeckte Glocker, es gibt sogar ein Super-Kindchenschema.
Glockers Abenteuer im Inneren des Gehirns haben ihre Parallelen im Alltag. Stellen Sie sich vor, Sie finden einen Geldbeutel
auf der Straße. Was tun Sie? Bringen Sie ihn zur Polizei? Schicken Sie ihn per Post an den Besitzer? Oder behalten Sie ihn
etwa? Der Psychologe Richard Wiseman von der University of Hertfordshire stellte exakt diese Frage der Bevölkerung von Edinburgh.
Und zwar mit einer konkreten Handlung. Er verteilte Geldbeutel auf den Straßen der Stadt. In jedem war jeweils ein Foto. Eine
glückliche Familie. Ein niedliches Haustier. Ein älteres Paar. Ein lächelndes Baby.
Welcher Geldbeutel, so fragte er sich, würde am schnellsten den Weg zurück zu seinem Besitzer finden? Von jedem Geldbeuteltyp
wurden vierzig auf den Straßen verteilt. Von denen mit dem älteren Paar fanden 28 Prozent zu ihren Besitzern zurück, vom Familienbild 48 Prozent, 53 Prozent der Haustiere und sage und schreibe 88 Prozent des lächelnden Babys. »Das Baby weckt ein Gefühl der Fürsorge bei den Leuten«, sagt Wiseman – einen Beschützerinstinkt
gegenüber verletzlichen Kleinkindern, der sich als Überlebensschutz für kommende Generationen entwickelt hat.
Bei einer anderen Studie hat sich eine ähnliche Art von Fürsorge gezeigt. Ein Gesicht wurde auf eine Dartscheibe geklebt.
Die Teilnehmer bekamen sechs Dartpfeile und Geld für jeden Pfeil, mit dem sie ins Ziel trafen. Wenn es ein Babygesicht war,
trafen sie deutlich seltener. Diese Wirkungen treten nicht nur bei Säuglingen ein, sondern auch wenn es um Erwachsene mit
einem Babyface geht. Sheila Brownlow und Leslie Zebrowitz von der Brandeis University haben systematisch 150 T V-Werbespots untersucht. Sie wollten herausfinden, wie die Person, die eine Botschaft präsentiert, und der Inhalt der Botschaft verbunden
sind. Dafür nahmen sie die Hilfe von Collegestudenten in Anspruch. Eine Gruppe las nur den Text der Werbespots und sollte
bewerten, wie glaubwürdig und kompetent er ist. Eine zweite Gruppe sah sich die Filme an und sollte die Gesichter der darin
Auftretenden auf einer Skala nach ihrer Reife bewerten. 3 Aber es gab noch einen entscheidenden Haken. Diese Gesichtsbewertung fand ohne Ton statt. Auf diese Weise kam eine doppelte Abgrenzung gegenüber den Informationen zustande, die beide Gruppen
hatten. Die erste Gruppe hatte die Botschaft, aber keine Gesichter. Die zweite Gruppe hatte die Gesichter, aber keine Botschaft.
Die Ergebnisse sprachen Bände. Für die Werbespots, deren beeinflussende Wirkung weniger auf Sachkenntnis (der Vermittlung
von objektiven und gültigen Fakten) und mehr auf Glaubwürdigkeit (der ernsthaften und ehrlichen Beglaubigung durch einen Produktnutzer)
beruhen sollte, waren es die Darsteller mit eher kindlichen Gesichtszügen, die vorne lagen. Im umgekehrten Fall, wenn der
Eindruck »sachlicher«, an Fakten orientierter Information geweckt werden sollte, erschienen die Gesichter reifer.
Eine auf diese Weise inszenierte Beeinflussung lässt sich nicht nur in der Werbung finden, sondern auch in der Politik.
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