Gehirnfluesterer
überhaupt nicht erklären, warum. Doch schauen Sie sich die Augen genauer an.
Wenn wir nach dem Grund suchen, warum wir Augen mit größeren Pupillen attraktiver finden, kommen wir zur Reziprozität, zum
Prinzip der Gegenseitigkeit. Unsere Pupillen weiten sich, wenn wir erregt sind; also entweder einen Reiz entdecken, der ins
Auge sticht, oder einen, von dem wir gerne mehr sehen würden. Und wenn dem so ist, dann versuchen wir, so viel wie möglich
von diesem Reiz in uns einzulassen (ganz wörtlich). Eine solche Reaktion der Pupillen erfolgt automatisch und kann von uns
nicht kontrolliert werden.
Doch nicht nur die Reaktionen unserer Pupillen vollziehen sich automatisch, jenseits der bewussten Kontrolle, sondern auch,
wie es scheint, unsere Aufnahmebereitschaft für Pupillenreaktionen anderer. Wenn wir also ein Gesicht mit erweiterten Pupillen
sehen, unterstellen wir unwillkürlich, dass der oder die Abgebildete uns attraktiv findet. Und das Gesetz der Reziprozität
greift. Wir fühlen uns umgekehrt ebenfalls stärker von unserem Gegenüber angezogen.
Das erklärt – unter anderem –, warum wir ein Essen bei Kerzenschein romantischer finden als eines bei McDonald’s. Bei gedämpftem Licht weiten sich unsere
Pupillen, um die reduzierte Helligkeit der Umgebung auszugleichen und mehr Licht auf die Retina fallen zu lassen. Wenn Sie
je darüber nachgedacht haben, warum es in Fast-Food-Restaurants so hell ist, dass wir am liebsten mit Sonnenbrille essen würden,
kennen Sie jetzt den Grund. Es geht um
fast food
, um schnellen Umsatz, und nicht um schmachtende Blickwechsel über den Pommes.
Darin liegt es: im Schwarzweiß
Augen und Blicke von Neugeborenen sind darauf angelegt zu entwaffnen. Ihre im Verhältnis zum Gesicht riesigen Proportionen
und der darin verborgene See von Empathie wirken wie ein Magnet der Anziehung – ziehen uns in ihre schimmernden, unschuldigen
Tiefen. Und was ist mit der anderen Seite der Gleichung: der angeborenen Fixierung auf Kontraste? Studien habenstarke Belege für diese Fixierung geliefert. Zeigt man Säuglingen nebeneinander zwei Abbildungen, auf der einen ein schwarzes
Oval in einem Oval, auf der anderen die gleiche Form in einem Quadrat, wird sich ihre Aufmerksamkeit rasch und eindeutig dem
symbolisierten Auge zuwenden. Zeigt man ihnen Oval und Quadrat, jedoch ohne die schwarzen Kreise, wird das Oval ihren »Blick
fangen«.
Solche Ergebnisse sprechen dafür, dass nicht irgendetwas Besonderes am Auge selbst die Aufmerksamkeit des Säuglings auf sich
zieht, sondern die »Neuigkeit« des Reizes. Es ist der das Auge prägende Kontrast seiner Erscheinung, der es derart attraktiv
macht und Aufmerksamkeit verlangt. Nicht viel anders, nehme ich an, wirken Bewegung, Helligkeit und die anderen Reize, die
bekanntlich die Aufmerksamkeit von Säuglingen erregen.
»Wir sind«, wie der amerikanische Verhaltensforscher R. Dale Guthrie festgestellt hat, »nachtwandlerisch geschickt darin, die exakte Richtung des Blicks eines anderen zu bestimmen,
selbst wenn dieser andere sich am entfernten Ende des Raumes befindet. Wir schließen das allein aus der symmetrischen Anordnung
einer runden Form (Iris) auf einer sphärischen (dem Augapfel). Dass diese Form auf der weißen Sklera erscheint, fördert diese
Fähigkeit beträchtlich. … [Die Sklera] erlaubt das Ablesen ziemlich präziser Signale von den Augen.«
Lässt sich das Faible von Säuglingen für Augen durch ein angeborenes Talent fürs Gehirnflüstern erklären? Zusammen mit dem
Weinen und dem süßen Aussehen? Verkörpern Säuglinge die Kunst der Überzeugung in ihrer reinsten Form? Eine angeborene Fähigkeit,
die zentrale Botschaft zu vermitteln: Ich bin verletzlich. Ich bin hilflos. Und du – ja, genau DU – musst etwas dagegen tun.
Aufgrund der Belege in diesem Kapitel kann man das sicherlich so sehen. Sound und Drehbuch des Verhaltens von Neugeborenen
sind genial komponiert worden, unter der Regie von Mutter Natur, um in einer einzigartigen Inszenierung bei ihrem Gegenüber
jede Infektion durch so etwas wie einen freien Willen auszumerzen. Einfachheit und Empathie, die zentralen Schlüsselreize
der Überzeugung in der Tierwelt, gibt es bei Babys auch. DasWeinen eines Säuglings zusammen mit seinem Aussehen ergibt einen urtümlichen Prototyp der Überzeugung mit hundertprozentiger
Wirkung. Wenn wir geboren werden, sind wir in höchstem Maße verletzlich. Aber wir sind auch
Weitere Kostenlose Bücher