Gehirnfluesterer
beträchtlichen
Wert, und der Anwalt entschloss sich, es zu versichern: für 25 000 Dollar. In den folgenden Monaten rauchte er die Zigarren, immerhin ein Dutzend. Und als er genüsslich die letzte seiner Havannas
paffte, kam ihm eine glänzende Idee. Hatte er die kostbaren Stücke nicht gegen genau das Schicksal versichert, das ihnen nun
widerfahren war? Zerstörung durch – Feuer.
Er stellte eine entsprechende Forderung an die Versicherungsgesellschaft, die diese, kaum überraschend, zurückwies. Der Fall
kam vor Gericht, und man wird es nicht glauben, der Anwalt gewann. Selbst wenn die Forderung absurd erscheine, so der Richter,
das Kleingedruckte enthalte keine Klausel, die die Erstattung des Schadens ausschließe. Das Gericht entschied zugunsten des
Klägers – und der Anwalt verließ den Gerichtssaal um 25 000 Dollar reicher. Netter Versuch. Und noch dazu hatte es geklappt.
Einige Wochen gingen ins Land, der Fall war vergessen. Zumindest schien es so. Doch eines Morgens veränderte sich die Lage
schlagartig. Im Briefkasten der Kanzlei lag ein Umschlag, Absender: die Versicherungsgesellschaft. Sie verklagte den Anwalt
wegen Brandstiftung in zwölf Fällen, eine Vernehmung war anberaumt. Nun war die Gegenseite am Zug. Es wäre, argumentierte
der Richter, ja nicht gut möglich, dass der Anwalt nun genau der Art von Beweisführung widersprach,
die ihm den Sieg im ersten Verfahren eingetragen hatte. Und verurteilte den Anwalt, der Versicherungsgesellschaft den Schaden
plus Kosten zu erstatten: insgesamt 40 000 Dollar. Kein Rauch ohne Feuer.
Werbung ist die Kunst, die Intelligenz eines Menschen so lange gefangen zu nehmen, wie man braucht, um Geld aus ihm herauszuleiern.
(Stephen Butler Leacock, ›The Perfect Salesman‹, 1924)
Man muss eine stimmige Geschichte erzählen
Was zeichnet einen guten Anwalt aus? Ich meine, einen
wirklich
guten. Was unterscheidet den, der im Gerichtssaal brilliert, von einem, der gerade durchschnittlich ist? Was haben Staranwälte
dem Rest voraus? Ich fing an, darüber nachzudenken, und fand keine Antwort. Dann fiel mir jemand ein, der es wissen musste.
Michael Mansfield ist gewiss einer der weltweit ganz Großen. In seinen vierzig Jahren vor Gericht hatte er sich den Ruf erworben,
Fälle auszufechten, von denen jeder andere Anwalt die Finger lassen würde. Die Geschichte seiner Fälle liest sich wie eine
Kurzfassung der modernen englischen Sozialgeschichte.
Ich treffe mich mit Michael Mansfield in seinem Anwaltsbüro in der Londoner City. Vor mir sitzt ein agiler 6 7-Jähriger mit schulterlangen, nach hinten gekämmten Haaren und großen stahlblauen Augen. Er trägt einen dunklen Nadelstreifenanzug
und ein Leinenhemd mit offenem Kragen. Das Haar ist silbern und das Hemd ist rosafarben. Ein Keith Barrett, denke ich – nur
dieses Mal auf der
richtigen
Seite des Gesetzes. Ich frage ihn, was einen Anwalt groß macht.
»Fälle werden nicht ausschließlich durch die Macht der Tatsachen gewonnen oder verloren, sondern durch den Eindruck, den man
erzeugt«, antwortet er mit sonorer Stimme. »Vieles lässt sich durch die Macht der Suggestion erreichen. Der erfahrene Anwalt
erzählt dem Gericht eine Geschichte und nimmt die Geschworenen, ohne dass sie es merken, mit auf eine Reise. Das Erste, was
mit den Geschworenen in einem Gerichtssaal passiert,ist, dass sie ein bestimmtes Gefühl entwickeln. Sie denken mit Bauch und Herz. Der Trick besteht darin, die Beweismittel so
zu präsentieren, dass sie dieses anfängliche Gefühl bestätigen. Das ist im alltäglichen Leben nicht anders. Es ist immer leichter,
jemanden davon zu überzeugen, dass er von Anfang an recht hatte, als dass er sich die ganze Zeit geirrt hat! Ein guter Anwalt
ist auch ein guter Psychologe. Es kommt nicht nur darauf an, was man für Beweismittel vorlegt, sondern darauf,
wie
man sie präsentiert.«
Eine stimmige Geschichte zu haben ist fundamental für jede Art von Überzeugung. Vor Gericht, bei der Aufsichtsratssitzung,
im Wahlkampf, im Alltag. Der Amerikaner Frank Luntz ist Meinungsforscher und Fachmann für politische Beeinflussung. Zu Beginn
seiner Karriere arbeitete er für den Republikaner Ross Perot, als dieser zum ersten Mal für die Präsidentschaft kandidierte
und sich auf dem Höhepunkt seiner Popularität befand. Einmal, erzählt Luntz, organisierte er in Detroit eine Fokusgruppe,
um die Wirkung von Perots Fernsehwerbung zu
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