Gehirnfluesterer
Versuchsperson zu beurteilen. Hier das Ergebnis:
Wie wir in der Grafik auf der folgenden Seite sehen, stuften sich die Quizmaster – entweder weil sie Bescheidenheit vortäuschten
oder weil sie sich den situativen Zwängen entsprechend verhielten – nur wenig höher ein als die Teilnehmer. Das mochte zutreffend
sein oder auch nicht. Anders dagegen Quizteilnehmer und Beobachter: Sie machten, wie die mittlere und die rechte Balkengrafik
zeigen, große Unterschiede zwischen dem Wissen der Fragesteller und dem ihrer »Opfer«.
Die helleren Balken zeigen die vermutete Allgemeinbildung der Fragensteller, die dunkleren die der Teilnehmer. Links die Einschätzung
der Fragensteller, in der Mitte die Einschätzung der Teilnehmer und rechts die Einstufung durch Beobachter. Ergebnis: Taten
sagen mehr als Worte, auch wenn sie inszeniert sind.
Alle Quizteilnehmer hatten die Instruktion des Untersuchungsleiters klar und deutlich mitbekommen, dass die Fragen zwar dem
Bereich der Allgemeinbildung entnommen werden, die Antworten jedoch möglichst nur dem Quizmaster bekannt sein sollten. Sie
hatten Karten gezogen, wussten, dass Quizmaster und Quizteilnehmer durch Zufall bestimmt wurden und die Rollen auch umgekehrt
hätten verteilt sein können; sie wussten also, dass die Quizteilnehmer bei der Rollenverteilung einfach nur Pech gehabt hatten.
Und
dennoch
schenkten sie dieser Sachlage,dem Einfluss des Settings auf die Entwicklung der Dinge, keine Beachtung. Der Quizmaster
agierte
klug, daraus war der Schluss zu ziehen, dass er klug
ist
. Die Beobachter gingen sogar so weit, dass sie die Fragensteller für informierter hielten als achtzig Prozent der anderen
Studenten an der Universität! Der fundamentale Attributionsfehler ist ein hervorragendes Beispiel für das, was Michael Mansfield
im Sinn hatte, als er über Eindrücke, über die Macht einer Geschichte sprach. Nehmen wir als weiteres Beispiel einen Vergewaltigungsfall.
Vor Gericht sind Vergewaltigungen oft Paradebeispiele für hitzige Auseinandersetzungen zwischen Staatsanwalt und Verteidiger,
wobei sie nicht vorrangig auf das Denken der Geschworenen Einfluss zu nehmen versuchen, sondern vor allem auf deren Gefühl.
Schauen wir uns beide Seiten der Reihe nach an, beginnen wir mit der Anklage.
Der Staatsanwalt weiß, dass, ganz gleich, um welches Verhalten, um welche Tat es geht, die Zuschreibung einer Veranlagung
(persönliche Verantwortung) die nüchterne Beurteilung der Situation (äußere Einflüsse) überdeckt, wenn der Handelnde, die
Person und ihr Verhalten im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Genau das, was auch bei dem Quiz-Test geschehen war. Die
vermeintliche Klugheit des Quizmasters hat über das Wissen über das Zustandekommen der Situation obsiegt. Das geschieht ganz
spontan. Wir können nichts dagegen tun. Wir unterliegen einem mächtigen, automatischen Zwang, in einer bestimmten Art und
Weise zu denken. Wir gehen davon aus, dass wir die Dinge, die wir tun, so und nicht anders tun, weil wir die Art von Leuten
sind, die sich so und nicht anders verhalten! Das ist eine von der Evolutionsgeschichte geprägte Daumenregel, ein Verhalten,
das uns Zeit spart und das uns in Millionen von Jahren einprogrammiert wurde. Wenn wir jedes Verhalten einer genauen Untersuchung
unterziehen wollten, stets alle möglichen mildernden Umstände berücksichtigen würden, wie weit würden wir damit kommen? Nicht
weit. Darum fangen wir bei der Person an. Erfahrene Staatsanwälte kennen dieses Prinzip genau. Sie sind – wie Mansfield es
beschrieb – ebenso sehr Psychologen wie Anwälte. Was also werden sie tun? Welchen Angriffsplan legen sie sich zurecht?
Der Staatsanwalt wird die Aufmerksamkeit der Jury einzig und allein auf den beschuldigten Vergewaltiger lenken. Er manövriert
die Geschworenen in eine Position, in der sie gezwungen sind, sich zu fragen:
Warum hat er das getan?
Sie konzentrieren sich auf frühere Beziehungen, die der Angeklagte zu Frauen hatte. Hat er in der Vergangenheit aggressive
Neigungen gezeigt? Sie betrachten seinen geistigen Zustand zur Zeit der in Frage stehenden Tat. War der Angeklagte betrunken,
stand er unter dem Einfluss von Drogen? Verbindet man diese Fragen mit der nachdrücklichen Feststellung, dass eine Vergewaltigung
eine gewalttätige und keinesfalls eine erotische Handlung ist, ergibt sich daraus eine einfache, stimmige »Geschichte« – eine
Geschichte, die geradezu einlädt, den
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