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Gehirnfluesterer

Gehirnfluesterer

Titel: Gehirnfluesterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Dutton
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korrektesten Wörtern und Sätzen des Jahres heraus. An erster Stelle stand »fehlgeleitete Kriminelle« – ein eleganter
     Euphemismus, der nach den Bombenanschlägen auf Londoner Busse und U-Bahnen von einem BB C-Kommentator aufgebracht wurde. Über fünfzig Menschen waren ums Leben gekommen, aber das Wort »Terroristen« erschien zu gefühlsbeladen.
     Ebenfalls in die Liste aufgenommen wurden der Ausdruck »thought shower« (Gedankendusche), der – offenbar mit Rücksicht auf
     Epileptiker – das Wort »brainstorm« (Anfall geistiger Umnachtung) ersetzen sollte, und »aufgeschobener Erfolg« für »Scheitern«.
    Trotz solcher Possen sollten wir die ernsthafte Seite von alledem im Auge behalten. Denn es gibt sie. Bei Gericht zum Beispiel
     ist das hypnotische Potential der Sprache bestens bekannt als ein gefährliches Mittel, ein angemessenes Urteil zu verhindern.
     Deshalb sind bei Kreuzverhören Suggestivfragen strikt untersagt. Eine klassische Studie, 1974 von Elizabeth Loftus von der
     University of Washington und ihrem Kollegen John Palmer durchgeführt, zeigt deutlich, wie sinnvoll dieses Verbot ist.
    Kernstück der Studie war ein Videoclip über einen Bagatellunfall – ein fahrendes Auto stößt leicht gegen ein stehendes   –, den Loftus und Palmer zwei Gruppen von Versuchspersonen vorführten. Nach dem Abspielen des Videos wollten die Wissenschaftler
     von beiden Gruppen wissen, mit welcher Geschwindigkeit das eine Auto gegen das andere fuhr. Obwohl sie den gleichen Clip gesehen
     hatten, gaben beide Gruppen überraschend unterschiedliche Antworten. Die eine Gruppe schätzte (Durchschnitt der Einzelangaben)
     51,2   km/h und die andere 64   km/h. (Die tatsächliche Geschwindigkeit, mit der das fahrende Auto auf das stehende auffuhr, lag bei 20   km/h.) Wie konnte dassein? Der Grund ist ganz einfach. Wieder hatte man den Gruppen leicht abgewandelte Fragen gestellt. Von der einen wollten
     Loftus und Palmer wissen: Mit welcher Geschwindigkeit touchierte das eine Fahrzeug das andere?
    Die zweite Gruppe fragten sie: Mit welcher Geschwindigkeit rammte das eine Fahrzeug das andere?
    Diese winzige, aus nur einem Wort bestehende Differenz zwischen den beiden Fragen war die Ursache für den Unterschied bei
     den Antworten. Und nicht nur das. Die Versuchspersonen, die zum »Rammen« befragt wurden, gaben an, Glassplitter am Unfallort
     gesehen zu haben, die das Video definitiv nicht zeigte. Kein Wunder, dass Suggestivfragen an Zeugen zu energischen Protesten
     führen.
    Doch nicht nur im Gerichtssaal müssen wir auf der Hut sein. Die von Loftus und Palmer nachgewiesenen Effekte finden sich auch
     in der Politik. Während ich noch an diesem Buch schrieb, begann der Stern Barack Obamas zu sinken. Er kam nicht nach Berlin
     zum 20.   Jahrestag des Mauerfalls. Er war zu beschäftigt mit der Gesundheitsreform und kümmerte sich zu wenig um die Arbeitslosigkeit.
     Er verbeugte sich zu tief vor dem japanischen Kaiser und ließ zu, dass der chinesische Präsident auf einer gemeinsamen Pressekonferenz
     Fragen verbot. Demokratische Präsidenten haben traditionell ein hartes erstes Jahr im Amt. Bush I und II standen nach dem
     ersten Jahr auf der Höhe ihres Ansehens und Clinton war ganz unten. Abgesehen davon – woran, mag man sich auch fragen, hat
     ein amerikanischer Präsident die Chinesen je hindern können?
    Doch bevor Obama ins Weiße Haus kam, war er durchaus daran interessiert, Steilvorlagen für den politischen Gegner zu vermeiden.
     Während des Wahlkampfs 2008 konnte er auf die nahezu einmütige Unterstützung der Afroamerikaner rechnen. Dennoch hatte er
     allen Versuchen widerstanden, ihn als »schwarzen Kandidaten« zu präsentieren: »Ich lehne eine Politik ab, die sich nur auf
     die rassische Identität, auf Geschlechtsidentität, sexuelle Orientierung oder überhaupt auf eine Opferrolle gründet.« Daran
     hielt er fest – auch im Wahlkampf.
    Aber warum? Warum wollte er sich nicht auf seine ethnische Zugehörigkeit berufen, wenn ein bedeutender Anteil der Bevölkerung
     gerade deswegen hinter ihm stand? Warum daraus keinen Vorteil ziehen? Warum nicht an den Sinn für Geschichte appellieren?
    Die Antwort sah ›Time‹-Kolumnist David von Drehle genau darin, dass »schwarz« eben eines dieser kritischen Wörter ist; ein
     Wort wie »warm« und »kalt«. »Sobald das Rassenetikett verwendet wird«, so von Drehle, »hören viele nicht mehr hin, wenden
     sich ab oder machen sich Gedanken, wer der

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