Gehirnfluesterer
sie auf.
Auf dem Weg gab es eine Überraschung. Am Eingang zu dem Durchgang lag zusammengesackt ein Mann. Der Kopf war gesenkt, die
Augen geschlossen. Er bewegte sich nicht. Als die Studenten vorbeikamen, hustete er – zwei Mal – und stöhnte.
Die große Frage war nun, wie viel Hilfe ihm die Studenten angedeihen lassen würden.
Um das zu bewerten, hatten sich die Forscher vorher auf ein Punktesystem geeinigt. Keinen Punkt gab es, wenn die Studenten
den Vorfall gar nicht oder scheinbar gar nicht bemerkten. Zwei Punkte, wenn sie zwar nicht stehen blieben, aber den Vorfall
dem Aufnahmeassistenten im Nachbargebäude meldeten. Das Maximum von fünf Punkten gab es, wenn die Studenten stehen blieben
und selbst dafür sorgten, dass der Mann Hilfe bekam. Die Ergebnisse der Studie sprachen Bände. Sogar unter den Studenten eines
theologischen Seminars an einer Elite-Universität wie Princeton, die gerade einen Vortrag über den barmherzigen Samariter
vorbereitet hatten, zählte das Eigeninteresse. Sie waren zu beschäftigt, um Gutes zu tun. Und der Zeitplan: Diejenigen, die
meinten, sie seien zu spät, nahmen den Mann, der am Eingang zusammengebrochen war, kaum wahr, während diejenigen, die etwas
Zeit übrig hatten, eine drei Mal so hohe Bereitschaft zeigten, den Vorfall zumindest zu melden.
Vor kurzem geriet der BB C-Moderator Terry Wogan in der Öffentlichkeit unter Beschuss, weil durchgedrungen war, dass er 800 000 Pfund im Jahr verdiente. Trotz der Tatsache, dass seine tägliche Sendung (›Wake Up to Wogan‹) die besten Zuschauerquoten hatte
und er im Lauf der Jahre geradezu zur Ikone geworden war, hieß es aus verschiedenen Richtungen, er sei völlig überbezahlt.
Gleichzeitig gab es noch die Finanzkrise und einen unappetitlichen Bestechungsskandal um zwei seiner Kollegen. Da konnte wohl
was hängenbleiben. Aber Wogan sah das anders.
»Wenn ich das umrechne«, sagte er mit der für ihn typischen onkelhaften Gelassenheit, »dann sind das zwei Pence pro Zuhörer.
Ich bin noch richtig preiswert.«
Ende der Debatte. Sobald das Eigeninteresse umgeleitet wird und sich in einen Vorteil für die Kritiker wandelt, ist die Sache
erledigt.
ÜBERRASCHUNGSEFFEKT
Das Hirn betrügen
In Sachbüchern findet man nicht oft Zauberkunststücke. Aber hier ist eines für Sie. In der folgenden Abbildung sehen Sie sechs
Spielkarten. Wählen Sie eine aus, schauen Sie sie fünf Sekunden lang ganz genau an, um sie sich einzuprägen, decken Sie dann
die Karten ab und stellen Sie sich nur vor. Sprechen Sie es nicht aus, stellen Sie es sich nur vor.
Sind Sie so weit? Gut. Ich nehme jetzt die Karten auf, mische sie und lege sie wieder auf die Seite. Allerdings mit dem Gesicht
nach unten. Eine Karte habe ich dabei entfernt. Sie haben das nicht bemerkt.
So weit, so gut.
Sie haben jetzt fünf Karten vor sich. Mit der Vorderseite nach unten. Die sechste Karte habe ich bei mir. Geben Sie mir einen
Augenblick Zeit, ich will nur kurz sehen, welche Karte das ist. Ich habe nicht darauf gesehen, als ich sie entfernt habe.
Gut.
Ich zeige Ihnen die Karte nicht. Wenn Sie herausfinden wollen, welche Karte ich in der Hand habe, gehen Sie auf Seite 246
am Ende des Kapitels. Da sehen Sie die umgedrehten Karten.
Und, welche Karte fehlt? Zufällig diejenige, die Sie sich ausgesucht haben? Das muss dann wohl Zauberei sein, Leute.
Taschendiebstahl im Gehirn
»Das Geheimnis der Umkehr«, schrieb der griechische Philosoph Platon einmal, »besteht nicht darin, den Menschen Augen einzusetzen.
Denn Augen haben sie schon. Es kommt vielmehr darauf an, wohin man ihren Blick lenkt.« Da hat er ins Schwarze getroffen. Zauberkünstler
wissen das seit eh und je. Und Taschendiebe. »Eine große Aktion verdeckt eine kleine Aktion«, das ist eine der bewährtesten
Maximen in dem Gewerbe. Sie bezieht sich darauf, dass man, wenn zwei Dinge gleichzeitig passieren, eher auf das achtet, was
mehr ins Auge springt.
Nehmen wir den »Gedankenleser«-Trick von eben. Sie werden inzwischen wohl zu dem Schluss gekommen sein, dass das nichts mit
Gedankenlesen zu tun hat – eher mit Gedanken
steh len
. In der Zauberkunst nennt sich das »passive Irreführung«. In der kognitiven Psychologie heißt es
von außen gesteuerte Ablenkung der Aufmerksamkeit
. Weil Sie sich voll und ganz auf die eine Karte konzentriert haben, die Karte Ihrer Wahl, haben Sie die anderen fünf kaum
wahrgenommen. Sie wussten, dass sie da
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