Gehirnfluesterer
Interview dem Publikum zuwendet und damit Selbstvertrauen und Offenheit ausstrahlt, statt unbeweglich
und defensiv zu verharren. 4 Die Psychologen Nalini Ambady und Robert Rosenthal haben das Ganze noch ein Stück weiterverfolgt und dafür etwas angewendet, das sie die Schnipsel-Methode (
thin slicing
) nennen. Die Teilnehmer bekamen zu Beginn des Semesters Dreißig-Sekunden-Videoclips von Collegedozenten zu sehen und sollten
ihren Auftritt anhand verschiedener Persönlichkeitsmerkmale bewerten. Würden diese Minimalproben oder »Schnipsel« eine Prognose
dafür ermöglichen, wie die Dozenten am Ende des Semesters, also drei Monate später, abschneiden würden? Und zwar nicht in
den Augen der Teilnehmer, sondern in den Augen der Studenten.
Und so war es auch. Die Dozenten, die am Anfang – man erinnere sich, nur auf der Basis von dreißig Sekunden – als selbstbewusst,
aktiv, optimistisch, liebenswürdig und begeistert wahrgenommenwurden, schnitten später bei der Bewertung durch die Studenten viel besser ab. Und dabei, das kam noch hinzu, hatte diese
Einschätzung am Anfang des Semesters auch noch ohne Ton stattgefunden. Auf den Videoclips waren die Dozenten nur zu sehen,
nicht zu hören. Die Einschätzung beruhte nur auf Augenschein. Selbstvertrauen strahlt wie körperliche Attraktivität einen
Halo-Effekt aus und ist auch ganz für sich alleine genommen ein Faktor für Einfluss.
EMPATHIE
Rauch ohne Feuer
Es ist Freitagabend und in der Londoner U-Bahn ist viel los. Der Zug der Picadilly Line muss wegen einer Signalstörung fünf Minuten im Tunnel zwischen Leicester Square
und Covent Garden warten. Die Wagen sind voll, und die Leute werden unruhig. Zumal der Fahrer eben einen weiteren Aufenthalt
von fünf Minuten angekündigt hat. Ein Mann im Trainingsanzug zieht eine Zigarette heraus und zündet sie an. Ein absoluter
Tabubruch. Seit dem Inferno vom King’s Cross von 1987, als ein Brand in der U-Bahn 31 Leute das Leben gekostet hatte, ausgelöst durch ein weggeworfenes Streichholz, wie sich später herausstellte, ist Rauchen
in der gesamten U-Bahn nicht erlaubt. Überall sind Rauchverbotszeichen. Trotzdem zündet der Kerl sich eine Zigarette an.
Ein unbehagliches Schweigen erfüllt den ganzen Waggon. Der Ausdruck auf den Gesichtern der Leute spricht Bände. Aber niemand
– wie oft in solchen Fällen – sagt etwas. Dann bricht wie aus heiterem Himmel ein Mann im Anzug den Bann.
»Verzeihung«, sagt er und beugt sich mit einer Zigarette nach vorne, »könnten Sie mir wohl Feuer geben, bitte?«
Jetzt passiert es. Das bringt das Fass zum Überlaufen. Plötzlich mischt sich ein anderer Fahrgast ein.
»Sie WISSEN DOCH WOHL, dass Sie hier nicht rauchen dürfen?«, schnauzt er.
Der Mann im Anzug »sieht« plötzlich das Rauchverbotszeichen. »Sorry«, sagt er. »Das war mir nicht klar.«
Dann wendet er sich dem Mann im Trainingsanzug zu.
»Wir machen sie wohl besser aus«, sagt er.
Solche Situationen haben wir alle schon erlebt, oder? Und häufig, wenn man nicht gerade Nerven aus Stahl hat, weiß man nicht
so recht, was man tun soll. Wenn einer in einer absoluten Rauchverbotszone nonchalant eine Zigarette anzündet, dann ist er
aller Wahrscheinlichkeit nach nicht von der friedlichen Sorte. Dann ist er auf Krawall gebürstet.
Was hat also dieser andere Passagier getan? Statt den üblichen Weg einer offenen Konfrontation zu suchen, tat er das komplette
Gegenteil. Völlig im Widerspruch zu dem, was der Mann im Trainingsanzug erwartete (einen Angriff), schloss er sich ihm an
(Haben Sie Feuer?), sehr wohl wissend, dass ein solches Bündnis zwingend eine Reaktion bei einem der anderen Fahrgäste auslösen
musste. Was auch geschah. Und als diese Reaktion eintrat, war das Spiel schon gelaufen. Entscheidend war, dass nicht nur einer,
sondern zwei eine Grenze überschritten hatten. Das Bild hatte sich dramatisch geändert. Plötzlich und spontan war eine »Wir-Gruppe«
entstanden, und in der Menge liegt Sicherheit. Das optimale Ergebnis – dass der Mann im Trainingsanzug seine Zigarette ausmachte
– wurde durch die freundliche Bitte eines anderen »unwissenden Mittäters« eher ermöglicht als durch eine aggressive Auseinandersetzung.
Und Normalität kehrte ein.
Den Fakten ins Auge sehen
Würden wir die Bestandteile wirksamer Beeinflussung wie Karten nach ihrer Trumpfstärke ordnen, dann wäre es wichtiger, was
wir gegenüber jemandem fühlen, als was
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