Gehirnfluesterer
Raum ist. Ganz körperlich. Überdeutlich. Ich kann sie auf meiner Haut fühlen, am
ganzen Körper.
In Büchern habe ich davon gelesen, erlebt hatte ich es bisher nie. Sekundenlang stand ich da, erstarrt wie bei vierzig Grad
minus.Spürte dann, wie sich sein Arm ganz langsam von meiner Schulter löste, als mache sich, eingesickert durch die Lüftungsschlitze,
eine neue Art Schwerkraft bemerkbar.
»Lass dich von deinem Hirn nicht austricksen, Kevin. All diese Examen – manchmal kommen die einem in die Quere. Es gibt nur
einen
Unterschied zwischen dir und mir. Ehrlichkeit. Selbstvertrauen. Ich will was, ich kriege es. Du willst es, du kriegst es nicht.
Bist ängstlich, Kev. Fürchtest dich vor allem. Ich sehe das in deinen Augen. Fürchtest dich vor den Folgen. Davor, dass man
dich erwischt. Vor dem, was sie von dir denken. Vor dem, was sie mit dir tun werden, wenn sie plötzlich an die Tür klopfen.
Du fürchtest dich vor
mir
. Ich meine, schau dich an. Es stimmt schon. Du bist draußen, ich bin hierdrin. Aber wer ist frei, Kev? Ich meine, wirklich
frei? Du oder ich? Denk an heut Abend. Wo sind die wirklichen Gitter, Kev? Da draußen?«, er deutet zum Fenster, »oder da drin?«
Und er streckt die Hand aus und berührt ganz leicht meine linke Schläfe.
Hellwach
Irgendwo weit draußen im neurobiologischen Kosmos kann man das Gehirn der Psychopathen sehen, mit unheimlicher Anziehungskraft
in einer dunklen Welt voll Kälte und Trostlosigkeit. Kaum hat man das Wort Psychopath ausgesprochen, da tauchen Bilder im
Kopf auf – Bilder von Serienmördern, Vergewaltigern, Selbstmordattentätern und Gangstern.
Was aber, wenn ich ein anderes Bild skizziere? Wenn ich Ihnen sage, dass der Psychopath, der heute Ihre Freundin vergewaltigt,
an einem anderen Tag genau derjenige sein könnte, der sie am ehesten aus einem brennenden Haus rettet? Dass der derselbe Psychopath,
der auf einem spärlich beleuchteten Parkplatz mit einer Machete lauert, morgen schon der Held einer Spezialeinheit sein könnte,
der die gleiche Waffe im Nahkampf in Afghanistan einsetzt? Dass der aalglatte Verbrecher, der Sie eiskalt undmit allen Kunstgriffen und Mitteln der Verführung um Ihre gesamten Ersparnisse bringt, Ihnen bei anderer Gelegenheit das Leben
retten könnte?
Solche Behauptungen klingen alles andere als glaubwürdig. Dennoch sind sie wahr. Anders als ihre Darstellung in der Öffentlichkeit
sind keineswegs alle Psychopathen gewalttätig oder kriminell. Weit entfernt davon. Gnadenlos und furchtlos vielleicht. Aber
Gewalttätigkeit bewegt sich auf einer anderen neuronalen Autobahn. Manchmal kreuzt sie sich mit der Psychopathie, ebenso oft
aber führt sie daran vorbei.
Natürlich ist da das Charisma, die berühmte Präsenz des Psychopathen. Überwältigend, blendend, entwaffnend. Das sind Vokabeln
und Charaktereigenschaften, die man häufig hört, wenn von solchen Menschen die Rede ist. Nicht, wie man vielleicht erwarten
würde, wenn sie selbst von sich sprechen. Sicher aber, wenn sich ihre Opfer zu Wort melden. Die Ironie tritt offen zutage.
Kerle wie diese 1 (und in der Regel sind es Kerle) haben – offenbar durch irgendeinen Fehler im Schöpfungsplan – genau die Charaktereigenschaften, die wir fast alle liebend gerne auch hätten. Was einer der Gründe dafür ist, warum viele ihrer
Opfer überhaupt erst in den Bann von Psychopathen geraten sind.
Psychopathen zeigen, wenn sie unter Druck stehen, eine enorme Gelassenheit; selten rast ihr Herz, auch nicht in Situationen
größter Gefahr. Sie sind charmant, selbstsicher, skrupellos und unbarmherzig. Unbarmherzig. Sie denken nur an sich. Egal,
um was es geht.
Und sie sind Großmeister der Überzeugung.
Echte Psychopathen bitte vortreten …
Beginnen wir ganz von vorne. Ein Psychopath zu sein bedeutet nicht zwingend, dass man kriminell ist. Jedenfalls nicht automatisch.
Und auch kein Serienkiller. Viele Psychopathen sind keineswegs im Gefängnis, sondern sperren eher andere ein. Für viele Menschen
ist das überraschend, aber genau so ist es. Es ist tatsächlich ein bisschen wie auf dem Plan eines U-Bahn -Netzes. Es gibt innere und äußere Zonen dieser Persönlichkeitsstörung. Nur eine kleine Minderheit »wohnt« in der Innenstadt.
Auf der großen Skala der Psychopathie hat jeder von uns einen Platz. Aber wie bei jeder Skala gibt es auch hier Menschen,
die ganz oben stehen.
Die Annahme, dass es einen Unterschied zwischen
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