Gehirnwaesche - Die Aasgeier - Streit bis aufs Blut
in Brixton. Er war in Al dershot bei einer Versorgungskompanie als Lastwagenfahrer. Seine Mutter brachte noch einen Sohn zur Welt, er bekam den Namen Darcy; das war am dritten Tag nach Ausbruch des Krieges im September neunzehnneununddreißig. Eine Woche später wurde Harveys Kompanie nach Frankreich verlegt. Auf dem großen Rückzug, als die deutschen Panzer durchgebro chen waren, wurde seine Einheit dann fast aufgerieben, und er bekam zwei Schüsse ins rechte Bein. Er konnte sich nach Dünkirchen durchschlagen und kam zurück nach England, aber sein Bein blieb so stark gelähmt, daß man ihn mit einer Pension entließ.«
»Was hat er dann gemacht?«
»Er nahm eine Stelle als Fahrer bei der Feuerwehr an, aber dann erlebte er wie so viele Leute damals eine furchtbare persönliche Tragödie. Das Haus in Brixton bekam einen Volltreffer ab, und der einzige Überlebende war sein kleiner Bruder. Von da an ist dann mit Preston alles anders geworden.«
»Was hat er dann gemacht?«
»Alles. Schwarzmarkthandel, Prostitution. Nach dem Krieg besaß er eine ganze Reihe von illegalen Spielkasions. Er spielte damals in der Unterwelt eine wichtige Rolle. Neunzehnneun undfünfzig stieg er ins professionelle Verbrechen ein. Die Polizei war überzeugt, daß er hinter einer sehr erfolgreichen Entführungsorganisation steckte; aber man konnte ihm nie etwas nachweisen. Er war auch an verschiedenen Überfällen auf Lohngelder beteiligt und betrieb mit ziemlicher Sicherheit Rauschgifthandel.«
»Ein vielseitiger Mensch. Was geschah nach seinem Frei spruch im letzten Jahr? Ist er ausgewiesen worden?«
Mallory schüttelte den Kopf. »Dazu war er schon zu lange im Land. Aber Scotland Yard hat ihn dann unter Druck gesetzt. Man entzog ihm die Lizenz für seine Spielkasinos, damit war er aus dem Geschäft. Sie haben ihn auf Schritt und Tritt beo bachtet; er hat kaum noch gewagt, aus dem Haus zu gehen. Man wollte herausfinden, wo das Geld von dem Überfall auf das Spielkasino in Birmingham geblieben war. Ihm war zwar nichts vorzuwerfen, was für eine Anklage gereicht hätte; aber bei der ständigen Beschattung konnte er das erbeutete Geld auch nicht ausgeben.«
»War er verheiratet?«
»Nein, er lebte allein. Aber er war ganz normal. Ab und zu brachte er ein Mädchen mit zu sich nach Hause, das dann die Nacht bei ihm blieb.«
»Was ist mit dem Bruder geschehen, der den Bombenangriff überlebt hat?«
»Der kleine Darcy?« Mallory grinste zum erstenmal.
»Das ist eine komische Geschichte. Harvey behielt den Jun
gen bei sich. Er schickte ihn als Tagesschüler in die St.-Paul’sKathedrale. Das muß ein eigenartiges Leben für ihn gewesen sein. Tagsüber war er mit den Söhnen der oberen Zehntausend zusammen und nachts mit den übelsten Gestalten von ganz London. Er entschloß sich, Jura zu studieren und hat sein Referendarexamen vor drei Jahren abgelegt. Nach Harveys Prozeß ist er nach Jamaika zurückgegangen.«
»Und was hat Harvey gemacht?«
»Er ist vor zwei Monaten nach Rom geflogen. Auf dem Lon
doner Flughafen hat man ihn und sein Gepäck buchstäblich auseinandergenommen, aber nicht die geringste Kleinigkeit gefunden. Sie mußten ihn passieren lassen.«
»Und wohin ist er dann von Rom aus gefahren?«
»Interpol hat ihn bis Neapel verfolgt; dort hat man ihn aus den Augen verloren.«
»Bis er dann zwei Monate später in einem Fischernetz vor der englischen Küste an Land gezogen wurde. Interessant. Was glauben Sie, was er für ein Spiel gespielt hat?«
»Ich dachte, das sei Ihnen schon deutlich geworden.« Mallory hob die Schultern. »Er wollte illegal nach England einreisen. Solange die Polizei nicht wußte, daß er im Land war, konnte er in aller Ruhe an sein Geld und dann das Land wieder auf dieselbe Weise verlassen, wie er gekommen war.«
Chavasse sah nun größere Zusammenhänge. »Sie vermuten also, daß ihn jemand im Kanal über Bord geworfen hat?«
»So ungefähr muß es gewesen sein. Mit diesem nächtlichen Fährverkehr wird eine Menge Geld gemacht, seit das neue Einwanderungsgesetz erlassen ist. Pakistanis, Inder, Westinder und Australier – alles Leute, die auf normalem Weg kein Einreisevisum bekommen, lassen sich die Überfahrt viel Geld kosten.«
»Da hat neulich so ein Fall in der Zeitung gestanden«, sagte Chavasse. »Die Royal Navy hat vor Felixstowe einen alten Kutter mit zweiunddreißig Pakistanis an Bord aufgebracht. Sie hatten jeder
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