Gehirnwaesche - Die Aasgeier - Streit bis aufs Blut
Vater von Sinkiang nach Lhasa reiste, ist er unterwegs gestorben.«
»Und Hoffner hat sie aufgenommen?«
Joro nickte. »Es ist einer seiner größten Fehler, daß er immer anderen helfen muß – ohne Rücksicht auf sich selbst.«
Chavasse überlegte eine Weile und meinte dann: »Im Grunde genommen ist es doch so, daß Sie ihr mißtrauen, obgleich Sie ihr nichts vorzuwerfen haben und nichts über sie wissen. Sie könnte doch genauso gut vollkommen harmlos sein, wie?«
»Das stimmt«, mußte Joro zugeben.
»Dann müssen wir eben abwarten, wie sie reagiert. Sobald wir das Kloster erreichen, müssen Sie ohnehin als mein Späh trupp nach Changu gehen. Aber über diese Dinge können wir uns später noch unterhalten.«
Ferguson stand auf. »Wenn es für den Augenblick nichts mehr zu besprechen gibt, dann sollten wir lieber nach Srinagar zurückfahren. Ich muß bis zum Start der Maschine noch eine Menge erledigen, und du solltest vorher noch einmal richtig ausschlafen, Paul.«
Chavasse nickte. »Das ist die beste Idee, die du heute gehabt hast.« Er schüttelte Joro lächelnd die Hand. »Bis heute nach mittag also!«
Joro blieb zurück, während die beiden Männer durch das Lager zum Wagen zurückkehrten. Beim Wegfahren fragte Ferguson: »Na, wie gefällt er dir?«
»Du hast vorhin eher noch untertrieben, und ich könnte mir keinen besseren Begleiter wünschen.«
»Nach allem, was er sagte, scheint mir die Sache doch etwas einfacher zu werden, als ich befürchtet hatte«, sagte Ferguson. »Natürlich dürfen wir die Haushälterin nicht vergessen, aber sie ist wahrscheinlich ganz harmlos.«
»Wahrscheinlich«, murmelte Chavasse mit einem Seufzer.
Fast schien es so, daß ihm immer irgendwo eine Frau in die Quere kommen mußte. Diese Katja war ein unbekannter Faktor, der einige Gefahr in sich barg. Aber das würde sich ja
noch herausstellen.
Er setzte sich bequem hin, schob sich den Hut in die Stirn und schloß die Augen.
4
Es hatte zu regnen aufgehört. Der Mond warf einen weißen Lichtstreifen quer über das Bett. Chavasse schwebte noch in dem Dämmerzustand zwischen Träumen und Wachsein; er starrte durch das Halbdunkel zur Decke empor.
Nach einer Weile blickte er auf die Uhr. Es war kurz vor elf. Er streckte sich noch für einen kurzen Augenblick aus, warf dann die Decke beiseite und glitt aus dem Bett.
Rasch rieb er sich mit einem Handtuch den Schweiß vom Körper, zog sich an, schlüpfte noch in einen dicken Wollpullo ver, ehe er die Tür öffnete und auf die Terrasse hinaustrat.
Die Flachdächer von Leh schoben sich zu einem ungleichmä
ßigen Mosaik zusammen, das bis zum Indus hinunterreichte. Die gigantischen Wände der Schlucht standen wie schwarze Schatten vor dem Nachthimmel. Alles war still und friedlich, nur drüben am anderen Flußufer bellte irgendwo ein Hund.
Chavasse zündete sich eine Zigarette an, wobei er das Streichholz zwischen den Händen gegen den Wind abschirmen mußte. Er warf das abgebrannte Streichholz fort, und im gleichen Augenblick tauchte der Mond hinter einer Wolken bank auf. Er warf einen kalten, weißen Lichtschein über das Tal. Der Sternenhimmel war von einer unglaublichen Schön heit. Die unzähligen Lichtpunkte erstreckten sich bis an den Horizont, wo die aufragenden Berge ihnen gefährlich entge genwuchsen.
Chavasse atmete den Duft der regennassen Erde ein und fragte sich, warum nicht alles auf dieser Welt so einfach und unkompliziert sein konnte wie dieser Augenblick. Man brauch te nur dazustehen und zu schauen. Das kostete nichts als ein bißchen Zeit, und man bekam so viel dafür.
Dann wehte ihn ein kalter Luftzug an und erinnerte ihn mit leisem Grauen daran, daß die Grenze nur eine halbe Flugstunde entfernt lag. Er hörte den klagenden Ruf des Windes, wie er über die Flachdächer pfiff. Mit hochgezogenen Schultern drehte er sich um und ging hinein.
Im Hotel war alles ruhig. Aus der kleinen Halle schlug ihm warme, verbrauchte Luft entgegen. Der uralte Ventilator drehte sich klappernd und quietschend an der Decke, aber er brachte kaum eine Bewegung in die abgestandene Luft.
Der Nachtportier, ein junger Hindu, schlief an seinem Platz. Chavasse schob sich leise an ihm vorbei in die Bar.
Kerensky saß an einem Tisch am Fenster. Er hatte sich die Serviette hinter den Hemdkragen gesteckt. Im Augenblick war er der einzige Gast. Der Kellner stand in der Nähe und schaute staunend zu, wie Kerensky mit dem
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