Gehirnwaesche - Die Aasgeier - Streit bis aufs Blut
den Tisch neben dem Bett, öffnete die Fenstertür und trat auf einen gedeckten Balkon hinaus, der um das ganze Haus herumlief und einen Blick auf den Garten gestattete.
Es regnete nicht, aber der Wind war feucht und frisch. Er atmete tief den Duft der nassen Erde ein. Dann überfiel ihn mit einem Schlag die Müdigkeit. Er trat wieder ins Zimmer und schloß die Tür.
Als er sich gerade ausziehen wollte, klopfte es leise an die Tür. Es war Hoffner. Er brachte einen alten Bademantel und warf ihn lächelnd auf das Fußende des Bettes. »Ich dachte mir, Sie würden ihn brauchen.«
In seiner Stimme schwang ein Ausdruck der Besorgnis mit, der Chavasse sofort auffiel. »Stimmt etwas nicht?« fragte er.
Hoffner setzte sich seufzend auf die Bettkante. »Ich fürchte, Katja weiß alles.«
»Erklären Sie mir das näher«, bat Chavasse und zündete sich eine Zigarette an.
»Ganz einfach: Sie hat von unserem Gespräch mehr mitbe kommen, als wir dachten. Sie spricht sehr gut englisch und ist ein intelligentes Mädchen. Sie war vorhin bei mir und wollte ganz genau wissen, was los war und wer Sie sind.«
»Was haben Sie ihr gesagt?«
»Daß ich ein alter, müder Mann sei, der gerne zu Hause ster
ben möchte. Daß Freunde Sie geschickt hätten, um mir hinauszuhelfen«, antwortete Hoffner achselzuckend.
»Mehr nicht?«
»Das schien im Augenblick wenig Sinn zu haben.«
»Sehr klug! Wir dürfen trotz allem nicht vergessen, daß sie Russin ist. Daß sie zu Ihnen hält, ist klar, aber wenn es darum geht, eine Sache zu unterstützen, die ihrem Vaterland schaden kann, dann wird sie vor eine schwere Gewissensentscheidung gestellt. Und wie ich schon sagte: Je weniger sie weiß, um so weniger kann sie unter Druck preisgeben.«
»Sie müssen es wissen«, sagte Hoffner. »Ich glaube aber nicht, daß wir uns Sorgen machen sollten. Sie interessiert sich so wenig für Politik, daß sie nicht einmal der Partei angehört.«
»Wenn etwas schiefgeht und sie in die Hände des chinesi
schen Geheimdienstes fällt, dann wird sie am Ende alles tun,
was man von ihr verlangt«, erklärte Chavasse grimmig.
»Vermutlich haben Sie recht.« Er stand auf. »Vielleicht soll
ten Sie morgen früh mit ihr reden. Im Augenblick denkt sie nur daran, daß ich mit einem Fluchtversuch glatten Selbstmord begehen würde, weil mein Herz die Belastung nach ihrer Meinung nicht aushallen wird.«
»Ich kümmere mich schon darum, legen Sie sich schlafen und machen Sie sich keine Sorgen, Doktor«, sagte Chavasse. »Es wird schon alles klappen, das verspreche ich Ihnen.«
Nachdem der alte Mann sehr leise das Zimmer verlassen hatte, stand Chavasse noch eine ganze Weile da und versuchte, über die ganze Angelegenheit nachzudenken. Aber dann überfiel ihn erneut die Müdigkeit und verdrängte jeden klaren Gedanken. Er hatte kaum noch genug Kraft, um sich auszuzie hen und ins Bett zu legen.
Seufzend blies er die Lampe aus. Dann starrte er zur Decke hinauf, spürte, wie sich seine überforderten Muskeln entspann ten, und schlief bald darauf ein.
Wann er wach geworden war, wußte er nicht mehr genau. Er merkte nur, daß er im Bett lag und das Feuer ausgegangen war. Ein Blick auf sein Leuchtzifferblatt sagte ihm, daß es zwei Uhr morgens war. Das bedeutete, daß er kaum vier Stunden ge schlafen hatte. Trotzdem war die Müdigkeit verschwunden.
Er lag da und hatte das Gefühl, daß sich irgendwo draußen in der Dunkelheit etwas gegen ihn zusammenballte. In der Ferne rollte der Donner. Dann beleuchtete für den Bruchteil einer Sekunde ein greller Blitz jede Ecke seines Zimmers.
Er sprang aus dem Bett, zog Hoffners alten Bademantel über und trat ans Fenster. Als er auf den Balkon hinaustrat, öffnete mit einem Schlag der Himmel seine Schleusen.
Es war kalt geworden. Trotzdem stand er für ein paar Sekun den tief atmend im Freien. Die frische Luft füllte seine Lungen,
aber sie konnte die innere Unruhe nicht vertreiben.
»Die kalte Nachtluft ist in dieser Höhe ungesund, Mr. Cha vasse«, sagte eine leise Stimme auf englisch.
Schlagartig waren alle seine Sinne aufs äußerste gespannt. Er drehte sich langsam um. Wenige Schritte von ihm entfernt stand Katja Stranoff auf dem Balkon. Ein greller Blitz beleuch tete für einen Augenblick ihr Gesicht. Über den hohen Backenknochen wirkten die Augen doppelt dunkel. Das Haar schimmerte wie Flachs.
Sie ist schön! Diese plötzliche Erkenntnis erfüllte ihn mit
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