Gehirnwaesche - Die Aasgeier - Streit bis aufs Blut
Brote von daheim mitgenom men hatte und das Büro während der Mittagspause nicht verließ. Mit zwei Leuten konnte er fertigwerden – falls es mehr waren, konnte es kritisch werden.
Ein kleines Guckloch in der Tür ging auf, und er sah dahinter ein Auge.
»Mr. Crabtree?« sagte Chavasse. »Ich bin der Elektriker. In diesem Stock ist teilweise der Strom ausgefallen, und ich muß alle Büros nach dem Defekt durchsuchen. Ist bei Ihnen alles in Ordnung?«
»Einen Moment.« Der Deckel des Gucklocks klappte zu. Eine Kette rasselte, die Tür ging auf, und ein kleiner weißhaariger Mann streckte seinen Kopf heraus. »Sie haben recht, es brennt kein Licht. Kommen Sie doch bitte herein.«
Chavasse trat ein und überzeugte sich mit einem raschen Blick, daß sie allein waren. Crabtree schloß hinter ihm die Tür und legte die Kette wieder vor. Er war etwa sechzig und trug eine goldene Brille. Als er sich umdrehte und in die Mündung einer Achtunddreißiger-Automatik blickte, riß er erschrocken die Augen auf, und seine Schultern sanken nach vorn, so daß er plötzlich viel kleiner aussah.
Chavasse unterdrückte das mitleidige Gefühl, das in ihm aufstieg und klopfte ihm mit dem Lauf der Automatik leicht auf die Wange. »Wenn Sie tun, was ich Ihnen sage, passiert Ihnen nichts – verstanden?«
Crabtree nickte benommen, und Chavasse zog ein Paar Hand schellen aus der Tasche und deutete auf einen Stuhl. »Setzen Sie sich und legen Sie die Hände auf den Rücken.«
Er legte Crabtree die Handschellen an, fesselte mit einem Strick seine Füße und blickte zu ihm auf. »Nicht zu fest?«
Der Kassier schien langsam zu sich zu kommen. Er lächelte mühsam.
»Es geht.«
»Sie zahlen wöchentlich zwischen vierzig- und fünfzigtau
send Pfund aus, je nachdem, wie viele Überstunden anfallen.
Wieviel ist es diese Woche?«
»Fünfundvierzigtausend Pfund«, antwortete Crabtree ohne das leiseste Zögern. »Oder anders ausgedrückt: etwa eine halbe Tonne Geld. Ich glaube nicht, daß Sie weit damit kommen werden.«
Chavasse grinste. »Das überlassen Sie nur mir.«
Überall lag Geld; ein Teil noch ordentlich gebündelt, wie es von der Bank gekommen war, ein anderer bereits in Lohntüten verpackt, die auf hölzernen Tabletts lagen. Die Tresortür stand offen, und in seinem Inneren fand er einen Karren mit Lein wandsäcken, die mehrere große Beutel mit Silber- und Kupfermünzen enthielten. Er nahm die Beutel heraus, rollte den Karren ins Büro und schob ihn, Banknotenbündel und Lohntüten in die Säcke werfend, die Tische entlang. Crabtree hatte recht – es war eine ziemliche Menge, doch er brauchte nicht mehr als drei Minuten, um die Tische abzuräumen. Als er den Karren zur Tür schob, sagte Crabtree: »Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß wir sehr viel für die Royal Air Force arbeiten und deshalb ein besonders gutes Sicherheitssystem haben.«
»Sie sehen ja, daß ich hereingekommen bin, oder?«
»Ja, aber Sie haben dabei nicht eine halbe Tonne Geld vor sich geschoben. Es kommt kein Fahrzeug zum Tor hinaus, ohne sorgfältig durchsucht zu werden. Hinauszukommen dürfte wesentlich schwieriger sein.«
»Leider habe ich keine Zeit, mit Ihnen darüber zu diskutie ren«, sagte Chavasse. »Am besten, Sie kaufen sich heute abend eine Zeitung. Darin werden Sie lesen, daß es geklappt hat.«
Er zog einen breiten Streifen Heftpflaster aus der Tasche und klebte ihn dem Kassier auf den Mund. »Können Sie atmen?«
Crabtree nickte, und Chavasse sagte grinsend: »Es war mir ein Vergnügen. Ich habe das Gefühl, Sie werden nicht lange warten müssen.«
Die Tür klappte zu und Crabtree saß in der tiefen Stille da und fühlte sich so allein wie noch nie in seinem Leben. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis er draußen auf dem Korridor schwere Schritte hörte und dann ein aufgeregtes Klopfen an der Tür.
Der vergangene Mittwoch, an dem alles begonnen hatte, war ein sonniger Tag gewesen, und Chavasse hatte beschlossen, auf seinem Weg zum Büro durch den Park zu gehen. Im Leben eines Geheimagenten folgen auf kurze, turbulente Zeiten des Außendienstes oft Monate relativ ruhiger Büro- und Verwal tungsarbeiten.
Fast ein halbes Jahr lang hatte sich Chavasse jeden Morgen an seinen Schreibtisch im umgebauten Dachspeicher eines alten Hauses in St. John’s Wood gesetzt und den ganzen Tag Agentenberichte aus allen Teilen der Welt durchgesehen – eine anstrengende und überaus wichtige
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