Gehirnwaesche - Die Aasgeier - Streit bis aufs Blut
Arbeit, die äußerste Sorg falt verlangte, wenn sie von Nutzen sein sollte, und dazu eine verdammt langweilige.
An jenem Morgen schien die Sonne, der Himmel war blau und die Kleider der Mädchen kürzer denn je, und so hatte er sich ausnahmsweise einmal Zeit gelassen und war, eine Ziga rette rauchend, langsam über den Rasen geschlendert, erfüllt von dem Gefühl, daß der Mensch eigentlich gar nicht viel brauchte, um glücklich zu sein. Irgendwo schlug eine Glocke plötzlich elf. Er schaute auf seine Uhr, fluchte leise und lief zur Hauptstraße hinüber.
Er hatte sich schon über eine halbe Stunde verspätet, als er die Vortreppe des Hauses in St. John’s Wood hinaufstieg und auf den Klingelknopf neben der Messingtafel mit der Auf schrift Brown & Co. – Import, Export drückte.
Ein großer, grauhaariger Mann in einer blauen Uniform öff nete, Chavasse stürzte an ihm vorbei. »Ein bißchen spät heute,
George.«
George sah ihn besorgt an. »Mr. Mallory hat nach Ihnen gefragt. Miß Frazer versucht seit einer Stunde alle fünf Minu ten, Sie telefonisch zu erreichen.«
Eine leise Erregung packte Chavasse, als er die gewundene Treppe hinauf eilte. Wenn Mallory ihn so dringend sprechen wollte, dann mußte es sich um etwas Wichtiges handeln. Vielleicht hatte er Glück und konnte all den stumpfsinnigen Kram, der sich auf seinem Schreibtisch häufte, irgend jemand anderem aufhalsen. Er ging rasch den Gang hinunter und öffnete die weißgestrichene Tür an seinem Ende.
Jean Frazer, die vor einem Aktenschrank stand, wandte sich um; eine hübsche, kleine Frau um die Dreißig in einem raffi niert einfachen Wollkleid, das ihre ziemlich üppige Figur vorteilhaft unterstrich. Sie nahm ihre dicke Lesebrille ab und schüttelte den Kopf. »Höchste Zeit, was?«
Chavasse grinste. »Ich bin ein bißchen im Park spazierenge gangen. Die Sonne schien und der Himmel war blau, und es wimmelte von hübschen Mädchen.«
»Anscheinend werden Sie langsam alt«, sagte sie lächelnd und nahm den Hörer ab.
»Oh, das Gefühl habe ich gar nicht. Die Röcke waren noch nie so kurz wie in diesem Jahr. Ich mußte viel an Sie denken.«
Eine barsche Stimme unterbrach ihn. »Was gibt’s denn?«
»Mr. Chavasse ist da, Mr. Mallory.«
»Schicken Sie ihn rein. In der nächsten halben Stunde bitte keine Anrufe.«
Sie legte den Hörer auf und drehte sich um, ein leises spötti sches Lächeln um den Mund. »Mr. Mallory hat Sehnsucht nach Ihnen, Sir.«
»Und ich nach Ihnen«, sagte Chavasse. Er ging zu der mit grünem Stoff bezogenen Tür, öffnete sie und trat ein.
»Ausbrüche aus Zuchthäusern waren schon immer ein Pro blem«, sagte Black. »Durchschnittlich sind es in keinem Jahr weniger als zweihundertfünfzig.«
»Eine ziemliche Menge, muß ich sagen.« Mallory nahm sich eine türkische Zigarette aus der Dose auf seinem Schreibtisch.
Obgleich von Natur aus ein umgänglicher Mensch, erwartete Charlie Black, Leiter des Sonderdezernats von Scotland Yard, von seinen Untergebenen, daß sie auf den leisesten Wink gehorchten. Die plötzliche Nervosität, die sogar gänzlich unschuldige Menschen zeigten, wenn sie erfuhren, wer und was er war, bereitete ihm sogar ein gewisses Vergnügen. Doch wir alle sind das Produkt unserer Umgebung, die uns vom Tag unserer Geburt an formt, und Black hatte die entscheidenden ersten Jahre seines Lebens im Souterrain eines hochherrschaft lichen Hauses am Belgrave Square verbracht, wo seine Mutter, die im Ersten Weltkrieg ihren Mann verloren hatte, Köchin gewesen war. Er rutschte deshalb unruhig auf seinem Sessel hin und her, denn seine Mutter, Gott sei ihrer Seele gnädig, hätte den Mann, dem er gegenübersaß, einen vornehmen Gentleman genannt.
Es war alles da – der graue Flanellanzug, die Etonkrawatte, der undefinierbare autoritäre Nimbus. Es war direkt lächerlich, doch einen ganz kurzen Moment lang fühlte er sich wieder wie der kleine Junge, der von einem Spaziergang mit dem Hund des alten Lords zurückkam und einen Klaps auf den Kopf und ein Sixpencestück kriegte.
Er nahm sich rasch zusammen. »Es ist nicht ganz so schlimm, wie es aussieht. Etwa hundertfünfzig Häftlinge brechen jedes Jahr aus offenen Anstalten aus – dagegen kann man kaum etwas tun, höchstens vielleicht die Leute, die man in solche Anstalten steckt, von vornherein besser auswählen. Weitere fünfzig sind Leute, die für Begräbnisse, Hochzeiten und so weiter Urlaub auf
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