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Gehwegschäden

Gehwegschäden

Titel: Gehwegschäden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Kuhn
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Vor City Yildiz sitzt eine Gruppe Arbeiter im Blaumann und isst etwas aus der Hand. Im Café St. Oberholz sitzen die Prekarianer vor ihren Laptops und konzentrieren sich. Draußen an der Eingangstür zu den Wohnungen über dem Café klebt eine Fotokopie: Fotoshooting, 4. Stock. Das ist eine ganz andere Szene da oben. Thomas sieht sich um in dieser Wohnung, die riesig ist, aber durch die konzentrierte Masse an Individuen irgendwie eng erscheint. Vernissagepublikum, gerührt, geschüttelt. Man trägt das kleine Schwarze. Grauer Flanell, Architektenhornbrille. Galeristen. Kuratoren. Designer. Wein und Knabbergebäcke werden gereicht von jungen Frauen. Filmleute. Schauspieler. Künstler. Sektfrühstücksatmosphäre, eine Dame trägt ein knallbuntes Libellentattoo direkt unterm Kinn und kaut ein Mettbrötchen. Es ist alles fein abgestimmt. Weißes Sofa, schwarzer Teppich. Weiße Wände, schwarzer Stuhl. Schwarzer Tisch, weißes Buch. Schwarzweiße Zeichnungen. Irgendwo läuft ein echter Museumsdirektor herum. Auf den Tischen liegen Flyer. St. Oberholz Apartments. Rent on a daily basis, exciting artwork, spectacular view.
    Im Raum stehen Studiolampen und Lichtreflektoren, die tatsächlich wie aufgespannte Regenschirme aussehen. Das ist die Tarnung. Kommen die Bullen, findet hier ein Fotoshooting für ein Magazin statt. Auf den beiden Balkons sowie vor den geöffneten Erkerfenstern zur Kreuzung hin sind Kameras installiert. Richtige Fernsehkameras. Professionelles Gerät. Erkennt man sofort.
    »Das Ding ist, wenn wir mit dem Ding da was verdecken, ist die Aufnahme kaputt«, sagt der Kamera-Assi.
    Der Kameramann nickt.
    »Das is’ ja das Ding.«
    Sie schrauben an einer Halterung herum, die am Rahmen des Erkerfensters angebracht ist. Der Assi gestikuliert heftig.
    »So verschwinden die Kabel nicht. Aber anders ist das nicht gesichert. Wenn die Kamera runterfällt.«
    »Das ist das Ding.«
    »Also Iepe will …«
    »Da kommt er ja!«
    Der Holländer Iepe erscheint am Set. Er hat sich unterwegs keineswegs aufgebrezelt. Er trägt immer noch die Klamotten vom Morgen und seine silbernen Latschen.
    »Schön, dass ihr alle gekommen seid. Ich würde euch ungern erzählen, was da draußen gleich passiert, weil’s eigentlich durchaus Spaß macht, sich das einfach so anzuschaun. Es steht Technik hier, lasst die Leute arbeiten. Ganz wichtig ist: Benehmt euch wie beim Fotoshooting.«
    Iepe guckt in die Runde. Er sieht in ratlose Gesichter.
    »Wenn dann die Polizei kommt, dann haben wir hier den Herrn Mathias, der kommt von der Agentur Möbius-Varenne …«
    »Varent …« Ein Mann in schwarzem Anzug hebt den Finger.
    »Excusez-moi, Varent. Von der Agentur. Der wird mit der Polizei reden und sagen: Du, das ist hier ’n Fotoshooting. Haben wir eigentlich das Fotoshooting, haben wir Lampen aufgebaut?«
    Iepe blickt sich um.
    »Alles da«, sagt die absurd große Aufnahmeleiterin.
    Der Herr Mathias sagt kurz etwas. Niemand hat ihn verstanden. Iepe stellt sich vor ihn.
    »Also wenn die Polizei hier hochkommt, sieht, da is was los, ihr seid alle am Fenster, was sagt ihr dann?«
    Alle sagen zugleich »nix, gar nix, nichts, nüscht« oder »überhaupt nichts«. Das klingt ein bisschen komisch, Iepe lässt sich aber nicht beirren und rettet die Kasperletheatersituation mit einem situativen Kalauer.
    »Toll. Wird es einen Skandal geben?«, fragt jemand.
    »Bisschen Geduld. Ach ja. Bitte keine Fotos. Nichts bloggen. Journalisten, Facebooker: ruhig bleiben! Wir versuchen, nicht aufzufliegen.«
    Jemand meldet sich.
    »Ja?«
    »Can I post it in Japan?«
    Iepe läuft von einem Raum zum anderen. Thomas läuft von einem Fenster zum nächsten und versucht, einen Platz zu bekommen. Er sieht, dass von der Küche aus noch ein dritter, schmaler Balkon abgeht, und schlägt sich dorthin durch. Alle blicken nach unten. Autos fahren über die Kreuzung Rosenthaler Platz. Menschen gehen über die Straße. Man hört das Krächzen eines Walkie-Talkies.
    »No idea, what happens here.«
    Da sieht Thomas unten Mathias, Hieronimus und Daniel. Sie sind völlig vermummt. Es ertönt ein Countdown. Sie rollen auf die Kreuzung zu, gefolgt von drei Fahrzeugen, Thomas erkennt Sandras Wagen. Der Countdown ist zu hören.
    … seven, six, five …
    Alle im St. Oberholz Apartment for daily rent fallen in den Countdown ein
    … three, two, one
    – go!
    Go!!
    Go!!!!
    »Now everybody go!!!«, schreit die sich jetzt auf der Kreuzung Rosenthaler Platz befindende Aufnahmeleiterin. Man

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