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Gehwegschäden

Gehwegschäden

Titel: Gehwegschäden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Kuhn
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the lawyer und die anderen Schachboxer stehen vor ihren DB-Rädern. Im Hof brummen Hochdruckreiniger. In den Wannen werden Wasser und Farbe mit Mixern gemischt. Säcke von Farbe stehen zwischen Ölfässern, Tonnen, Paletten, alten Sofas und Sesseln. Das sieht schon aus wie ein richtiger Kampfeinsatz. Der Hof ist zu beiden Straßen hin begrenzt durch jeweils drei übereinandergeschichtete olivgrüne Baucontainer mit der schwarzen Aufschrift Platoon. Darin sitzen an normalen Arbeitstagen in olivgrünen Kampfanzügen die Werber der Firma Platoon, Urban communication & Political affairs, Platoon in real berlin & newBERLIN (eat shit & then die). Zur anderen Seite hin ist die Freifläche begrenzt durch eine von Graffiti übersäte Brandmauer. Sie ist zu einem Teil überdacht von Wellblech und geteilt durch eine Bretterwand, an der sich eine Bar mit Bratwurststand befindet. Im überdachten Teil des Hofes steht ein blaues DIXI-Klo. An die olivgrünen Container mit der schwarzen Aufschrift Platoon schmiegt sich ein auf leere Bierkästen geschichtetes Brettablagesystem ähnlich einer Tribüne. In einiger Höhe durchtrennen Girlanden von Kabeln und Glühbirnen den Himmel über Berlin. Über der Tribüne hängen sieben exakt gleich große schwarzweiße Fotoarbeiten. Es sind Studioaufnahmen von unbekleideten Menschen. Sie wirken zugleich anziehend und verstörend, weil die unbekleideten Menschen auf den Fotoarbeiten, jeder für sich, einen eklatanten wie ekligen äußerlichen Mangel aufweisen. Sie sind ganz besonders fett oder abgemagert, ganz besonders runzelig oder auf eine grausame Weise verstümmelt. In anderen von der Außenwelt hermetisch abgeschirmten Höfen der globalen, weltumspannenden Werbeorganisation Platoon, Urban communication & Political affairs (eat shit & then die) wie zum Beispiel Seoul befindet sich ein nach oben hin offener und mit chlorhaltigem Wasser gefüllter olivgrüner Container mit der schwarzen Aufschrift Platoon, der als Swimming Pool genutzt wird. Hier nicht. In der Mitte des Hofes steht der Fluchtwagen. Es ist ein Sprinter von Europcar. Ein Kind trägt einen weißen Cowboyhut. Otto erreicht den Hof.
    Er ist völlig außer Atem.
    »Hey Iepe, ich komm grad vom Rosenthaler Platz, die Straße ist gesperrt vom Möbelhaus bis zum Kopierladen. Weißt du das?«
    Otto schnauft.
    »Na klar. Wir sind die ganze Zeit auf dem Platz. Hast du den Spatz gesehen, der tot vom Dach gefallen ist?«
    »Äh, nee …«
    Ein Rechenbeispiel. 45 Autos in der Minute, in vier Richtungen, dazu noch 12 Autos von den Schachboxern, macht 1536 Autos, macht 6144 Reifen in insgesamt acht Minuten, bis die Polizei kommt. Mit dem schnellstmöglichen Eintreffen von Polizei und Feuerwehr ist zu rechnen. Bei einem Testlauf mit 20 Liter Cyanblau kamen Feuerwehr und Polizei in acht Komma drei Minuten. Man fühlt sich sofort schuldig. Komisches Gefühl ist das. Dem Samy, der den Testlauf fuhr und das ausschütten sollte, diese lächerlichen 20 Literchen, ist die Wanne schon ein paar Meter vor der markierten Stelle umgekippt. Vor lauter komischem Schuldgefühl. Und dann dachte er: Oh Scheiße, bloß weg hier. Ein Erfahrungswert, der unbedingt einzuberechnen ist bei insgesamt 540 Litern cyanblauer, zitronengelber, rotoranger und violetter, hin und her schwappender Farbmasse.
    »Eh, du, Fluchtauto, Friederike! Du bist 12.45 Uhr genau hier, an dieser Stelle«, sagt Iepe und zeigt auf eine Fotokopie. »Wo wir gestern Abend gewesen sind. Die Stelle. Klar?«
    »Klar«, sagt Friederike.
    »Mit deinen alten Klamotten, die du dreckig machen kannst. Klar?«
    »Klar«, sagt Friederike.
    »Super«, sagt Iepe.
    »Super«, sagt Friederike.
    Die Schachboxer üben, wie man die zunächst mit Wasser gefüllten Wannen auf den Fahrrädern balanciert. Es wird gefilmt und fotografiert auf dem Hof von Platoon, Urban communication & Political affairs, Platoon in real berlin & newBERLIN (eat shit & then die). Bei diesem ganzen modernen Schnickschnack kann Thomas gar nicht mehr unterscheiden, was eine Handykamera ist und was ein professionelles High-End-Gerät. Sogar Thomas wird gefilmt. Ein Hund schüttelt sich. Schwarzweißes Tier auf hellem Grund.
    »Also kommt mal alle her. Lagebesprechung«, sagt Iepe.
    Die Sache läuft so: Jeweils drei mit Sonnenbrillen, Schals und Basecaps unkenntlich gemachte Schachboxer fahren, 12.55 Uhr, aus allen vier Richtungen mit dem Fahrrad nebeneinanderher und auf die Kreuzung Rosenthaler Platz zu. Drei Begleitfahrzeuge fahren direkt

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