Gehwegschäden
kann sie von unten herauf und zugleich aus Iepes Walkie-Talkie brüllen hören.
Nichts passiert.
»Okaay!«, brüllt Karla.
»Okaay!«
Frantz sieht, wie Daniel ratlos auf der Kreuzung Rosenthaler Platz vom Rad gestiegen ist und zu Karla blickt. Diese gestikuliert heftig und brüllt.
»Okaay!«
Daniel steigt wieder auf.
»Na, die könn doch anfangen, macht schon …« Iepe wird nervös.
»Okaay!«
»Kipp doch aus, auskippen, na los …«
»Okaay!«
»Woooow!«
Ein irres Hupkonzert ertönt auf dem Rosenthaler Platz. Das Hupkonzert schwillt an. Menschen jubeln, schreien, pfeifen. Das Hupkonzert reißt nicht ab.
»Komm Otto, du bist der Letzte, na … komm schon … Ja!«
Iepe lacht.
»Und? Was jetzt, Otto? Weg jetzt …«
Die Menschen auf dem Rosenthaler Platz sind völlig aus dem Häuschen. Pfiffe, Applaus, Jubelschreie. Es klingt wie in einem Stadion. Über die Kreuzung Rosenthaler Platz fahren Autos durch die Farbe und verteilen sie in alle Richtungen. In der Mitte der Kreuzung mischen sich die Farben. Es ist, als würde sich, Strich um Strich, ein Bild auf dieser Kreuzung selbst malen. An einer Fußgängerampel hüpft ein Kind mit beiden Beinen in eine blaue Pfütze. Dünnere Striche von Fahrradrädern durchkreuzen die Schwünge der Abbieger, blaue Farbe fließt wie Wasser auf den Asphalt, Hieronimus, Daniel, rot, Reifen fahren durch violette Farbe, gelbe Striche wandern quer durch das Bild, ein Bild, das sich weiter entwickelt, rote Streifen, blaue Striche, ein Synthesizerfluss aus bunten Reifen, die Bahnen ziehen und Bögen, es ist, als hätte jemand für einen Moment die Welt angehalten, den Regenbogen vom Himmel geholt und ihn auf die Straße gelegt.
Auf dem Platz herrscht Jubelstimmung.
»Karla für Iepe. Karla für Iepe.«
»Karla, ja?«
»Woooow!«
Auf Thomas’ Balkon küsst sich ein Paar. Eine Tram rumpelt durchs Bild. Einander Wildfremde umarmen sich auf dem Bürgersteig. Es ist Thomas, als würden kleine Funken des Glücks von diesem Platz aufsteigen. Manche der Autofahrer scheinen im Farbreigen die Orientierung zu verlieren. Zwei Fahrzeuge bewegen sich aufeinander zu. Thomas will etwas wie »Vorsicht« schreien, da weichen sie einander aus. Immer mehr Menschen säumen die Gehwege.
»Do they send in the army now, the Germans?«
Es erscheint ein Polizist halb links. Er wird begleitet von einer Polizistin, die ihm im Abstand von einem Meter folgt. Der Polizist steht vor City Yildiz, führt eine Hand zum Kopf in Stirnhöhe zum Schutz vor Sonnenlicht. Er blickt über die Kreuzung Rosenthaler Platz auf die Ansammlungen von Menschen. Die Polizistin hat einen Fotoapparat. Sie fotografiert die Kreuzung Rosenthaler Platz in alle Richtungen. Kurz darauf erscheint ein Fahrzeug der Feuerwehr. Es ist ein Ford Focus. Ein Feuerwehrmann verlässt das Fahrzeug, läuft zu den beiden Polizisten, stellt sich breitbeinig an die Bordsteinkante und stemmt beide Hände in die Hüften.
14.37 Uhr.
In diesem Moment taucht die Aufnahmeleiterin vor dem Café St. Oberholz auf. Sie trägt eine kittelartige Schürze und ein Kopftuch. Sie wirkt selbst von oben wie ein leibhaftiger Riese. In der rechten Hand hat sie einen Plastikeimer und in der linken einen Schrubber. Sie schüttet Wasser auf die Kreuzung Rosenthaler Platz, es ist der violette Teil, und beginnt, die Farbe vom Asphalt zu schrubben. Die Beamten und der Feuerwehrmann beobachten dies. Laut und deutlich sagt die Aufnahmeleiterin:
»Ach, das geht ja mit Wasser ganz leicht ab.«
Die Polizeibeamten und der Feuerwehrmann stehen eine Weile an der Kreuzung und beobachten die schrubbende Aufnahmeleiterin. Der Feuerwehrmann zuckt mit den Schultern und sagt etwas zu den Polizeibeamten. Er dreht sich um und begibt sich zu seinem Fahrzeug. Da erscheint ein weiteres Einsatzfahrzeug der Polizei halb rechts. Es ist ein Ford Focus. Zwei Polizisten steigen aus, ein etwas älterer, untersetzter Mann und ein junger Mann. Sie zwängen sich durch die Menschenansammlung. Der ältere Mann hat etwas in der Hand, das aussieht wie ein Röhrchen. Beide stehen an der Ampel. Die Ampel schaltet auf Rot. Der ältere Mann läuft auf die Kreuzung Rosenthaler Platz, geht in die Hocke und taucht etwas, das aussieht wie ein Wattestäbchen, in eine Pfütze. Er führt das Wattestäbchen in das Röhrchen ein, schraubt dieses zu und begibt sich zum Fahrzeug. Das Fahrzeug verlässt die Kreuzung Rosenthaler Platz in Richtung Polizeiwache Brunnenstraße. Sie ist 200 Meter entfernt.
14.50
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