Gehwegschäden
stammen aus Kuba und hämmern auf Wände und Decken ein, zersägen Rohre und Kabel, reißen Eisenstäbe heraus, bis nur noch ein Skelett aus Stahlbeton übrig bleibt. Mit Atemmasken, langen Spachteln und Flammenwerfern rücken sie dem Boden zu Leibe und kratzen, Zentimeter für Zentimeter, die giftige Teerdichtung ab. Schwarzer Rauch steigt zu ihren vermummten Gesichtern auf. Ende nächster Woche sollen sie fertig sein.
Dann kommen die nächsten Arbeiter der nächsten Subunternehmer und beginnen mit dem nächsten Bauabschnitt, so wie andere Arbeiter zuvor hier in anderen Bauabschnitten geschliffen haben und umgebaut gemäß den Wünschen der jeweiligen Machthaber.
Und wer wird dann hier einziehen?
Wer hat jetzt das Sagen in Deutschland?
Der Mann ist Anfang dreißig.
Er ist geschäftsführender Gesellschafter bei Cisco Venture, London.
»Wir haben uns also spezialisiert auf Investitionsbrachen, große Häuser mit Geschichte und Geschichtsobjekte und so, solche Häuser haben wir in England viel gemacht, alte Brauereien, Zigarettenfabrik, EMI-Records-Gelände, alles Jahrhundertwerke mit Lofthouse-Charakter. So wie das hier. Das hat auch viel Charakter, es ist ja ganz einfach. Die Investment Group, also der Developer, das bin ich, vermietet die Immobilie nach der Sanierung an Soho House, das ist ein Blue Chip. Also ein Mieter, ’n sicherer Mieter. Und wenn man ein Blue Chip hat im Boot, gibt’s gar kein Problem.«
Der junge Mann ist Anfang dreißig, er trägt einen Anzug wie eine Leuchtboje. Ein schneeweißer Bauhelm schwebt einige Zentimeter über dem kleinen Kopf mit seinen leicht abstehenden Ohren und kurzgeschorenen blonden Haaren. Das verleiht dem Mann etwas Streichholzhaftes. Der geschäftsführende Gesellschafter hat Thomas Frantz kurz die Hand geschüttelt und ihm eine Visitenkarte überreicht. Er hat darauf in der Toreinfahrt zum Hof des Gebäudes den Kofferraum eines schwarzen Jeeps X5M Sport Utility / 4395 cm3 / V8 / 555 PS bei 6000 U/min / iDrive / xDrive / adaptive Drive geöffnet, darin herumgewühlt und geflucht. Frantz brauche keinen Helm, sagte der geschäftsführende Gesellschafter, er, der geschäftsführende Gesellschafter, sei ja schließlich der Bauherr und Boss hier, er habe eben keinen zweiten Helm dabei und auf der Baustelle extra einen zu suchen sei zu zeitaufwendig. Eine Stunde habe er, dann müsse er, Sebastian Berg, geschäftsführender Gesellschafter, 15.40 Uhr zurück im Büro sein, dort warte Arbeit auf ihn und ein Anruf 16.11 Uhr, Corinna Berg, Ehefrau, Mutter, Galeriebesitzerin, 99B Grafton Street, London W1S 4EJ.
»Konzept, gestalten, kaufen, gestalten, kaufen«, sagt der geschäftsführende Gesellschafter. »An die Helmpflicht brauchen wir uns hier nicht zu halten. Wir kaufen, wir halten fest. Wir, also die Investment Group, suchen noch ähnliche Gebäude in Berlin. Mit Geschichte und so, das ist meine Spezialität.«
Kaufen. Festhalten.
Aha.
Der Mann tritt in eine von dünnem Eis überzogene Pfütze.
»Mist! Die Schuhe kann ich wegschmeißen.«
Thomas Frantz hatte davon gelesen, in der Zeitung. Es war nicht viel mehr als eine längere Meldung mit Bild gewesen. Frantz hatte den Artikel ausgeschnitten. Ein Zimmer DDR. Wo früher die SED regierte, zieht der Club Soho House mit Swimming Pool, Lounge und Sauna ein. Frantz kennt das Gebäude. Dreizehn Jahre lang stand es leer an der Kreuzung Prenzlauer Allee, Ecke Torstraße, dieses riesige, bräunliche, verwitterte Haus, wie ein liegendes L ragte es in den Himmel. Thomas Frantz fuhr immer mit dem Fahrrad vorbei. Dann sah er vom Büro des Nachrichtenmagazins im fünften Stock auf das schräg über der Kreuzung gelegene Gebäude, wenn er im Sommer seine Urlaubsvertretungen versah oder Teil eines Sonderkommandos gewesen war, das Jagd auf die Eltern eines vermissten Kindes oder auf die Hinterbliebenen der Opfer einer Katastrophe machte. Immer hatte er sich gefragt, was wohl aus diesem Bau werden würde, dessen Schaufenster zur Straße hin zugemauert waren. Das Haus strahlte etwas Düsteres und zugleich Anziehendes aus.
Vom Fenster der Redaktion aus hatte es immer weniger wie ein L als mehr wie ein weich geschriebenes W ausgesehen mit seinen beiden Rundbögen und der zurückgezogenen Fassade über der zweiten Etage, die bis hinauf zu einer kleinen, das ganze Haus umlaufenden Balustrade und einem Dachaufbau wirkte wie die Kühlerfront eines schönen Oldtimers. Auf dem Bild in der Zeitung, es war eine Computersimulation des
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