Gehwegschäden
kahl gefressen.
Ankunft 1. OG.
»Das Parkett mussten wir abtragen. Der Teer darunter wird ausgeschabt, der ist hochgiftig, das machen die Kubis. Die SED hat ja hier einen Rattenkäfig neben den anderen gebaut«, sagt der geschäftige Jungführer und deutet auf die Wände, die dem Abriss noch nicht erlegen sind.
»Alle Wände gehen raus, und wir ziehen neue ein. Das Parkett hätten wir gern behalten. War aber zu kaputt.«
Frantz bleibt unweit des Treppenhauses stehen. Er kratzt an einer Wand und zieht ein Stück Tapete herunter. Die erste Schicht ist Raufaser. Darunter befindet sich eine andere, gelb-grüne Tapete. Vielleicht aus der Zeit der SED, schätzt Frantz. Darunter eine dunklere, braun-beige gestreifte Tapete. NSDAP, vermutet Frantz. Unter den Tapeten befindet sich Zeitungspapier. Das Papier ist derart feucht, dass Frantz die Tapete von den Zeitungen trennen kann. Er entziffert eine Überschrift und einen Text.
Die Hetzpresse zittert. New York, 9. Oktober. Die Sondermeldungen des deutschen Oberkommandos der Wehrmacht über die neuen gewaltigen Erfolge an der Ostfront haben hier wie eine Bombe eingeschlagen. So lautet zum Beispiel die ganzseitige Schlagzeile der New Yorker Abendzeitung: Die Kriegsnachrichten sind sämtlich schlecht – Sowjets geben zu, dass die Nazis näher an Moskau heran sind, als Albany von New York entfernt ist.
»Das haben die zum Malen und Tapezieren benutzt. Oder auch als Isomaterial. Was weiß ich. Scheißkälte.«
Berg haut sich über Kreuz ein paarmal auf die Schultern.
Luftangriff auf Suez. Schwerer Schlag für die Briten. Der Angriff deutscher Kampfflugzeuge in der Nacht zum 6. Oktober auf die Reede von Suez bedeutet für die britische Handels- und Besorgungsschifffahrt einen neuen Schlag. Zwei Handelsschiffe von zusammen 23 000 Bruttoregistertonnen wurden durch Bombenvolltreffer versenkt.
»Wenn Sie wollen, oben sind noch mehr Tapeten. Die können Sie alle runterreißen. Was interessiert Sie daran?«
»Na ja, alles so gebündelt.«
Berg stutzt. Frantz lächelt. Berg sieht auf die Uhr.
15.12 Uhr.
Geschichte I. Zur Vorlage an Bauherrn, Cisco Venture, London. Das Gebäude des ehemaligen Kaufhauses Jonass in der heutigen Torstraße 1 ist mit der jüngeren deutschen und insbesondere mit der am besten nicht allzu breitzutretenden jüdischen Geschichte eng verbunden.
Auf dem Gelände eines Exerzier- und Reithauses bauten die jüdischen Kaufleute Hermann Golluber und Hugo Halle in den Jahren 1928/29 das Kredit-Warenhaus Jonass & Co AG. Die Kundschaft kam aus der Arbeiter-, Beamten-, kleineren und Kleinstangestelltenschaft der näheren Umgebung. Vor allem die jüdische Bevölkerung des Scheunenviertels nutzte die Möglichkeit, per Ratenzahlung einzukaufen. Slogans des Hauses lauteten: Jonass hilft durch den Kaufschein! Jeden bedenken mit Festgeschenken. Auf einem Transparent über dem Eingang stand: Jeder Preis ein Schlager. Ein weiteres Plus bei Jonass: Die Waren konnten innerhalb einer Woche umgetauscht werden, wenn man unzufrieden war.
Das Unternehmen wurde 1889 in Berlin gegründet und hat in den fünf Jahrzehnten seines Bestehens nie zu den Großen seiner Branche gezählt. Bis in die dreißiger Jahre hinein befand sich das Hauptgeschäft im späteren Telefunkenhaus, Belle-Alliance-Straße 7–10. 1929 öffnete das Geschäftshaus in der Lothringer Straße 1, Ecke Prenzlauer Allee 249, mit einer Nutzfläche von 15 000 Quadratmetern. Hinsichtlich seiner Verkaufseinrichtungen unterschied es sich nicht wesentlich von anderen Häusern dieser Art, dagegen war der Bürobereich für ein Kredit-Warenhaus entsprechend groß.
Am Standort Lothringer Straße 1 existierte das Kredit-Warenhaus nur relativ kurze Zeit, was die Sache vom Standpunkt der Public Relations sehr viel einfacher macht. In einem Schreiben der Baupolizeihauptabteilung vom 18. Mai 1937 an den Stadtpräsidenten heißt es: »Das Gebäude ist infolge ungünstiger Geschäftslage nur kurze Zeit als Warenhaus benutzt worden und war in den letzten Jahren in den unteren Geschossen teilweise zu Bürozwecken vermietet. 1937 beauftragten die neuen Eigentümer die Firma Treuwerk mit dem Umbau zum Bürohaus.« Dabei sollte man es vielleicht bewenden lassen. Die neuen Eigentümer waren der Kaufmann Johannes Horn und die Kauffrau Frl. Ilse Vogt, frühere Angestellte des Kaufhauses, nachfolgend Gesellschafter 1 und Gesellschafter 2 genannt. Das geht aus einem Schreiben des Berliner Magistrats an die Sowjetische
Weitere Kostenlose Bücher