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Gehwegschäden

Gehwegschäden

Titel: Gehwegschäden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Kuhn
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die das Sagen haben, kann Frantz nicht leiden. Die sind ihm suspekt. Unberechenbar. Das steckt in seinen Heimkindknochen. Die grenzen ihn aus. Die machen ihn wütend. Das ist so.
    »Die suchen sich immer Leute, die sagen, wo kann ich mein Geld hingeben«, erklärt stolz der geschäftsführende Gesellschafter. Kältehauch steht vor seinem Mund, er vergräbt die Hände in den Hosentaschen. Eine milchige Aura umflutet ihn plötzlich, jemand muss irgendwo in dieser Tropfsteinhöhle einen Fensterladen aufgerissen haben. Rund um die Londoner Lichtgestalt herum erkennt Thomas Frantz langsam die Ausmaße dieses Geschosses.
    Sieben Geschosse und die Attika, Bestand: Das achtgeschossige Gebäude mit zwei sechsgeschossigen Seitenflügeln und ausgebautem Dachgeschoss ist in allen Teilen in Stahlbetonskelettbauweise mit tragenden Mauerwerkslochfassaden ausgeführt und eingeschossig voll unterkellert. Dominierend ist die abgeschrägte, zurückgesetzte und turmartig erhöhte Eckbebauung von sieben Geschossen mit darüber befindlichem aufgesetztem Attikageschoss, die in den Fluchten der Straßenfronten fortgesetzt wird, um dann zur sich anschließenden fünfgeschossigen Nachbarbebauung in die Höhe gestaffelt zu werden.
    Die ehemaligen Schaufenster zur Straße hin sind von innen mit Platten aus Pressspan oder Resopal vernagelt. Frantz fragt sich, ob diese Schaufenster von den Nazis zugemauert worden waren oder in der Zeit der SED. Was war sonst darin ausgestellt gewesen?
    Eine der Eingangstüren scheint noch aus der Zeit des Kaufhauses zu stammen. Es ist die einzige Tür der Front, in der Art-déco-Gläser erhalten geblieben sind. Unter den Messinggriffen eine kleine Tafel. Drücken. Es ist dunkel in diesem Erdgeschoss. In der Mitte türmt sich ein Schuttberg bis zur Decke. Ein kleiner, wendiger Bagger, das Chassis ist kaum höher als seine Reifen, fährt unter ohrenbetäubendem Lärm vom Hof herein. Glasbausteine, Toilettensitze, Rohre. Resopalwände, Tapetenreste, Mischbatterien. Der Diesel heult auf, wenn sich die Schaufel in den Haufen bohrt. Glassplitter kullern in Pfützen, die sich wie dunkle, eisglänzende Tümpel gebildet haben. Der Fahrer trägt Ohrenschützer. Lappen von Putz hängen von der Decke.
    »Einige Zimmer wurden komplett ausgebaut und eingelagert, zum Beispiel das von dem Pieck, das wird hier wieder so eingebaut, wie’s mal war, wenn alles fertig ist, das war also eine Auflage der Denkmalbehörde«, brüllt Berg in den Lärm der Eisenschaufeln hinein, »und das ist ja auch ganz nett, da kann man dann drin sitzen und Illustrierte lesen, alles historisch. Vielleicht mit Kamin, das hat dann was Originales.«
    »Und was ist mit diesen Glasbausteinen? Warum werden die weggeworfen?«
    »Die werden original nachgebaut. In Brandenburg. Wir müssen ja die Region beschäftigen. Wir sind ein großer Arbeitgeber.«
    Berg sieht auf die Uhr.
    14.58 Uhr.
    Der lange Raum ist zum Hof hin durch eine Mauer geteilt. Hinter der Mauer erstreckt sich ein Gang. Türen, kleine Räume. In jedem Raum ein Schreibtisch mit vierkantigen Stahlbeinen und Resopalplatte, auf manchen steht noch eine Lampe. Die Wände sind kahl. Frantz erkennt an der Färbung der Tapeten, dass dort einmal Aktenschränke gestanden haben. Sie sind jetzt Teil des Schuttbergs.
    »Für uns ist Berlin eine einzigartige Mischung aus Geschichte, Musik, Film und Kunst!«, brüllt Berg. »Das soll sich natürlich alles hier wiederfinden, widerspiegeln sozusagen, ein interaktiver historischer Kunstraum mit Platz für Gewerbe natürlich, da vorne das Art Label. Soho House ist ein Privatclub. Luxury Private Members Club. Stars and Socialites. Viele Members kommen aus der Medien- und vor allem Filmbranche. Guest Rooms, Pool auf dem Dach, Soho House gibt’s demnächst auch in Chicago oder in Miami und auf jeden Fall bald zweimal LA und in London sowieso. London City, Notting Hill, Chiswick und East London und Somerset. Da gleich neben dem Art Label diverse Brasserien, Filmvorführräume und im Keller Merchandising, Fitness und Spa. Alle Häuser bieten eine breite Auswahl von Restaurants und private Esszimmer, natürlich. Einige Zimmer können für Partys, Interviews und Ideenfindung selbstständig oder in Kombination gemietet werden. Das wird alles gebündelt.«
    So ist das.
    Der Mann im leuchtenden Anzug klettert über Rohre und Schutt hinweg ins Treppenhaus. Thomas Frantz folgt ihm. Auch dort kleben Fetzen wie Kleiderlumpen an der Decke. Nässe und Kälte haben die Wände

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