Gehwegschäden
Architekten, erstrahlte das Haus in hellem Beige. Das verlieh ihm etwas Koloniales. Auf dem Dach war ein länglicher Swimming Pool zu sehen gewesen und Liegestühle zwischen einer gläsernen Umzäunung und einem Bungalowaufbau. In dem Artikel stand, ein deutsch-britisches Unternehmen habe das Gebäude für neun Millionen Euro von den Eigentümern gekauft. Die Eigentümer, das waren Juden, Nachfahren der beiden Kaufleute, die das Haus in den Zwanzigern errichten ließen. Sie lebten in Israel, in den USA und in Kanada, hatte Frantz gelesen.
Thomas Frantz rief bei der Jüdischen an. Er würde da eine ganz famose Geschichte schreiben, das Haus würde ihm seine Geschichte zuflüstern, versprach Frantz, sie ihm sozusagen selbst erzählen, ganz klar. Das hat der Redakteur zwar nicht so ganz verstanden, aber gut. Seite drei. 12 000 Zeichen, 250 Euro. Vor zwei Jahren gab es noch 350. Der Etat war gekürzt worden, weil sich der bayerische Innenminister über eine Karikatur geärgert hatte. Frantz rief bei den Architekten an und bat um eine Begehung. Im Auftrag der Jüdischen. Das konnten sie nicht ablehnen. Trotzdem hielten sie ihn einige Wochen hin, alle Achtung. Immer, wenn er anrief, spürte er eine gewisse Furcht in der Stimme der Dame am Telefon und dann in der Stimme einer Architektin, die mit dem Projekt betraut war. Sie war sehr freundlich und darum bemüht gewesen, auf keinen Fall etwas falsch zu formulieren, aber der Chef war nie da, und irgendwann sagte sie, das mache jetzt der Bauherr aus London, persönlich, der sei aber erst nächsten Monat wieder in Berlin, etwa am 25. April gegen 14.45 Uhr, und haben Sie da überhaupt Zeit?
Zeit hat er, dieser Thomas Frantz, im Überfluss.
Dann schicken wir Ihnen schon mal die gesamte Dokumentation.
»Vielen Dank.«
Die Welt ist einen Mausklick entfernt.
Der Mann ist Anfang dreißig, und er hat ein Gesicht wie dreizehneinhalb. Ein Dreitageflaum im Stile eines Diehard ziert ihn. Thomas Frantz und der geschäftsführende Gesellschafter betreten das Gebäude durch eine Seitentür. Es ist dunkel, kalt und feucht. Sie müssen sehr vorsichtig um Schutt und Balken herumgehen, es riecht modrig und faul. Frantz hört vom Hof her an- und abschwellendes Motorengeräusch, einen Diesel. Frantz sieht sich um. Er steht in einem kahlen Raum. Der Mann bleibt neben ihm stehen. In diesem Moment betrachtet ihn Frantz von der Seite her und fragt sich, wer die Investment Group wohl ist, die hinter diesem androgynen Gesicht aus London steckt, das tatsächlich einen so gelangweilt angewiderten Ausdruck hat wie die mit Weichzeichner behandelten Kinder einer Hugo-Boss-Werbung.
Als hätte er die Frage, die Frantz nicht stellte, vermutet, blickt ihn der junge Mann triumphierend an und sagt (und schon wenig später wird er Thomas Frantz anrufen, er wird ihn bitten, ihn beknien, er wird ihm drohen, Frantz dürfe das auf gar keinen Fall veröffentlichen, sonst werde er ihm persönlich sämtliche Presseanwälte der Fleet Street auf den Hals hetzen, die ganze gierige Meute):
»Britische Firmen. Amerikanische und britische Firmen. Jedenfalls alle mit Sitz in London. 80 Prozent Minority Shareholders, aufgekauft für 110 Millionen Pfund«, sagt der geschäftsführende Gesellschafter. »Richard Caring. Kennen Sie den? Teppich-Tycoon. Hat seine Kohle in Mode und Lumpen gemacht und Soho House gekauft. Der besitzt Londons Top Restaurant Spots. The Ivy, Le Caprice and J Sheekey, The Mayfair und natürlich Annabel’s und den Wentworth Golf Club in Surrey. Der ist wer«, sagt der geschäftsführende Gesellschafter. »Der kann das alles bündeln mit Private Equity, das sind vor allem Blackstone, JER, Resolution Property und noch ein paar asiatische Investoren. Alles Corporate Private Equity, Real Estate, Asset Management und Financial Advisory«, sagt der geschäftsführende Gesellschafter.
Frantz erschrickt.
Heuschrecken. Ein ganzer Schwarm. Heuschrecken von der schlimmsten Sorte. Das ahnt Frantz sofort, auch wenn er davon nicht wirklich etwas versteht. Der Begriff hat für ihn etwas Unausweichliches. Die Vorstellung von etwas, das er nicht bekämpfen kann. Es sei denn mit Tonnen von DDT. Der Begriff durchfährt ihn wie eine genetisch verankerte Furcht vor der Pest, einem Erdbeben, der Sonnenfinsternis. Denen gehört das Haus also. Die haben jetzt das Sagen. So ist das. Das Haus hat immer denen gehört, die das Sagen hatten in Deutschland, außer vielleicht am Anfang, als es noch das Kaufhaus war, und die,
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