Gehwegschäden
vergeblich, leichtes Quietschen, Klingelton wie von einem alten Telefon. Ich versuchte ihn einzuholen – vor der Tram parkte ein Lieferwagen, an dem der Fahrer haarscharf nicht vorbeikam, die Tram klingelte –, den Mann mit der Hand zu berühren, und augenblicklich wusste ich, dass er zu mir gehörte, die Frau stapfte mit den Füßen im Schnee, als wolle sie sich so beschweren, dass er ein Teil war von mir. Die Tram bog ab. Als die Straßenbahn die Kreuzung passierte, war der Fremde im Fischgrätmantel verschwunden.
Ich blieb stehen und sah mich um.
Ich ging in den Münzsalon, der so hieß, weil er sich an der Ecke Münzstraße und Neue Schönhauser Straße befand und man darin Münzen brauchte. Der kleine Laden hatte nur Automaten. Kaffee, Tomatensaft, Cookies. Es waren verchromte Automaten mit gläsernen Guckscheiben, hinter denen die Waren lagen. Man musste Mitglied sein im Münzsalon, sonst konnte man in diesem Laden nichts kaufen. Niemand bediente darin. Mitglied des Münzsalons wurde man im Internet. Du beantwortest Fragen (Hast Du im Leben Glück? Ja / Nein / Weiß nicht. Bist Du metrosexuell? Ja / Nein / Weiß nicht), überweist einen kleinen Betrag auf ein angegebenes Konto und bekommst einen Schlüssel für die Eingangstür und die passenden Münzen für die Automaten per Post und ohne Absender zugesandt. Keine Fragen. Keine weiteren Forderungen. Der Laden war leer. Es war nie jemand darin. Ich kramte eine der Münzen aus der Jackentasche hervor und steckte sie in den Schlitz eines Automaten ohne Glasscheiben mit der Aufschrift Suppe. Im Inneren des Ladens war es still. Der Automat begann zu rattern, und nach einer Weile dampfte und pfiff er. Ich sah aus dem Schaufenster auf grauen Schnee. Vor den Schuhläden schlenderten Menschen mit weißen, roten Einkaufspaketen, ich sah Männer mit Umhängetaschen aus alten Lkw-Planen, der Automat spuckte einen Pappbecher in den dafür vorgesehenen Halterungsring, und eine heiße Flüssigkeit ergoss sich hinein.
Vor dem Gebäude mit der verwitterten Aufschrift Volks- und Kaffeewirtschaft auf seiner Fassade nahm ich zwischen all den bunten Jacken und Mänteln einen schwarzweißen Mantel wie ein Bergmassiv wahr.
Kein Zweifel. Das war mein Mann.
Er musste etwas getrunken oder jemanden getroffen haben, dachte ich, geradewegs lief er an Fridas Schwester vorüber, sollte die schöne klare Tütenbrühe in ihrem Pappbecher doch bleiben, wo sie war, in dem für sie vorgesehenen Halterungsring im unteren Drittel des verchromten Suppenspenders; ich folgte ihm wieder.
Er lief jetzt schneller, ich konnte kaum mit ihm Schritt halten, dann erkannte ich ihn in der Menge wieder an seinem schwarzweißen Mantel und der schwarzweißen Schiebermütze. Er bog in die Rosenthaler Straße ein und gleich darauf in die Sophienstraße. Dieses merkwürdige Piqué. Meliert. Es war ein dicker, fester Stoff, wie er heute nicht mehr hergestellt wird. Secondhand, vermutlich, dreißiger, vierziger Jahre. Ich heftete meinen Blick auf den breiten Rücken, der diesen Mantel trug, sowie an den Kopf mit der schwarzweißen Mütze und wurde schneller, sobald sich sein Schritt zu beschleunigen schien. Er sah sich nicht um. Er wusste nicht, dass ich ihm folgte.
Er hatte es eilig. Musste wohl einen Termin wahrnehmen und war bereits spät dran. Er lief die Sophienstraße hinauf in Richtung Torstraße, vorbei an einem Kinderspielplatz mit zahlreichen Attraktionen ohne Kinder. Die Torstraße lief er aber Richtung Rosenthaler Platz. Das ergab keinen Sinn. Aus dieser Richtung war er gekommen. Er überquerte die Kreuzung. Er sah aus, als wäre er außer Atem geraten. Ich habe noch immer das Gefühl, diesen großen, schweren Mann stöhnen zu hören. Ich konnte ihn aber gar nicht hören, weil er viel zu weit weg war. Es war mein eigenes Keuchen, das ich wahrnahm, der korpulente Mann blieb stehen.
Stand er da wirklich und zog eine Zigarette aus einer blauen Schachtel?
Der zahnlose Irre saß vor der Post auf seiner verschneiten roten Decke und schimpfte. Ich kenne ihn, den zotteligen Diener des Kaiser’s, an jedem Abend steht er auf seiner roten Decke vor dem Kaiser’s und hält den Einkaufenden die Türe auf, obwohl sie ja automatisch auf- und wieder zugeht. Jemand rutschte aus und fiel auf den Hintern. Der Diener des Kaiser’s lachte. Ein grünes Postauto fuhr an ihm vorbei auf den Hof des Gebäudes. Der Mann im Mantel stand da, zog an einer Zigarette, er hatte seine Hast unterbrochen und sah hinüber in
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