Gehwegschäden
Zentralkommandantur vom Dezember 1946 hervor, in dem die Eigentumsverhältnisse neuerlich dargelegt werden. Erst an dritter und vierter Stelle erscheinen Golluber und Halle. »Der Gesellschafter Halle schied am 28.6.1937 und der Gesellschafter Golluber am 13.1.1939 aus. Gesellschafter 1 und 2 verkauften laut Notariatsvertrag vom 15.10.1942 das Gebäude an die NSDAP in München für einen Kaufpreis von 2.500.000 RM. Die Verkäufer erklären im Notariatsvertrag, dass sie arischer Abstammung seien. Ob die vorher ausgeschiedenen Gesellschafter Nichtarier gewesen sind, ist nicht bekannt«, vermerkt der Magistrat. Golluber und Halle konnten ins Ausland fliehen.
Die Treuhänder vermieteten das Gebäude auf eigene Rechnung an die Reichsjugendführung der NSDAP. Die Firma Treuwerk sollte die notwendigen Räume schaffen, um die in Berlin verstreut untergebrachten 14 Dienststellen der Reichsjugendführung der NSDAP zu vereinigen, die über mangelnde Mobilität klagten. Die Reichsjugendführung hatte die Stellung einer Obersten Reichsbehörde. Bis 1940 übte Baldur von Schirach diese Funktion aus, sein Nachfolger wurde Arthur Axmann.
Im zweiten Obergeschoss bietet sich Frantz ein beinahe identisches Bild. Der leere Raum, die Mauer, die kleinen Büros, diese noch intakt. Der Boden der Etage ist bereits ausgeschabt. In einem Büro liegt ein alter Panzerschrank auf dem Rücken. Die Tür ist ausgehoben worden und lehnt an der Wand. Im dritten Obergeschoss hat man sämtliche Fenster zum Hof hin zugemauert. Die Fenster zur Straße fehlen.
»Die Rattenkäfige messen 1,50 Meter mal 2,50 Meter, die meisten sind jetzt voller Bauschutt«, erklärt Berg. Er sieht auf die Uhr. 15.17 Uhr. »Wir haben schon während der statischen Untersuchungen das meiste herausgerissen. War doch alles abgewickelter Müll. Was soll man denn mit dem Schrott noch anfangen?«
Es rumpelt wie bei einem Erdbeben. Frantz zuckt zusammen.
»Das ist der Schutt aus einem der oberen Geschosse. Fliegt durch den Liftschacht runter ins Erdgeschoss. Dort sammelt der Bagger alles auf und bringt die Scheiße raus!«, brüllt Berg.
Vor dem Liftschacht blähen sich miteinander verklebte Plastikplanen. Staub dringt aus den Ritzen und bildet Wolken. Frantz muss unweigerlich an den Müllschlucker in einem Mietshaus denken. Klappe auf, Sack rein, Klappe zu. Wer will schon abgewirtschafteten Schrott? Es kracht. Jemand beginnt zu bohren. Es klingt wie der Rumpelbohrer beim Zahnarzt, wenn er auf Amalgam trifft. Frantz orientiert sich an der Boje mit dem Bauhelm zurück zum Treppenhaus. Eisenstangen stecken dort in der Wand wie Borsten in einem Eisbein. Im vierten Obergeschoss hängt die Decke tiefer. Ein rechtwinkliges Mosaik aus Blechschienen ist da zu erkennen, aufgeklebte Rauten eines Styroporstucks. An den Wänden eine gummierte Tapete, Holzimitat. Feinster DDR-Chic der fünfziger Jahre, denkt Frantz. Er sieht etwas Sinnbildliches in diesen Nussbaumimitaten, darunter die braun-beige Tapete und Der Stürmer, alles einfach lapidar übereinandergeklebt, das erscheint Thomas Frantz mit einem Mal so.
»Hier soll das Pieck-Zimmer gewesen sein. Aber irgendwie stimmt das nicht. Das Dumme ist: Als sie’s rausgerissen haben, haben sie vergessen einzuzeichnen, wo’s genau lag. Jetzt wissen wir’s nicht mehr. Die Möbel sind alle noch da, ausgelagert, aber keiner weiß mehr, wo’s war. Ist auch egal. Wir bauen’s jedenfalls original nach Fotos wieder auf und stellen’s irgendwohin. Das steht dann unter Denkmalschutz. Wird die Attraktion für den Club. Da kann man dann seinen Laptop anschließen, wo Pieck die Todesurteile unterzeichnet hat.«
Berg lacht. Er sieht auf die Uhr.
15.23 Uhr.
Das Milchgesicht des Kapitals. Berg, Sebastian, 33, John-F.-Kennedy-Schule Berlin Zehlendorf, High School in Washington, D. C., MBA European Business School London. Investment Banker Private Equity. Geschäftsführender Gesellschafter Cisco Venture, Luxemburg. Erster Aufkäufer (Cisco Venture führte das Kapital asiatischer Investoren, Blackstone, JER und Resolution Property) des Discounters Lidl und der Metro AG. Mann, der Markt hier war ja dermaßen günstig, also so was von runter, ich meine voll im Arsch, das ziehen die sich natürlich rein und hauen’s gleich wieder raus.
Und das ist jetzt ein Zufall: Berg, Hermann. Diplom-Architekt, 67, federführender Gesellschafter BRI International Architekten und Ingenieure GmbH, Fasanenstraße 12. 153 Mitarbeiter, Berlin, Frankfurt a. M.,
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