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Gehwegschäden

Gehwegschäden

Titel: Gehwegschäden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Kuhn
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die ganze Stadt wie erlöst, und da die Erlösung also in der Luft lag, haben es sich Frantz und der Fred auf der Bank gemütlich gemacht. Es stand kein Tisch vor ihnen. Sie hielten die Gläser in der Hand. Frantz betrachtete den Fred. Er hat ihn eine Weile nicht gesehen.
    Der Fred ist mager geworden. Das unterstrich seine schlaksige Gestalt. Seine Wangen waren eingefallen. Ausgemergelt wirkte er und dünn wie sein Haar. Seine Haut hatte etwas Farbloses, ganz so, als würde sie sich langsam auflösen wollen und Fred bald durchsichtig werden. Frantz führte das auf die endlosen Nächte zurück, die Fred vor seinem Computer verbrachte. Das ovale Gestell seiner Brille hatte einen gebrochenen Bügel. Ein Andenken an seinen letzten Sturz die Kellertreppe hinab. Seine Kellertreppe lag direkt neben der bespuckten Eingangsglastür vor dem einst modernen Mietshaus im historischen Nikolaiviertel, in dem Cynthia doch so gerne wohnte, die alte Ossitante, und also war’s nicht das erste Mal, dass Fred, auf der wiederholt vergeblichen Suche nach seinem Schlüssel und bei einem kurzen Telefonat über Handy mit Cynthia (ein kleiner Daumendruck auf die Wiederholungstaste genügte), die oben saß im Rollstuhl und erwiderte, es geschehe ihm wohl recht, diese zuckersüße, hundsgemeine Zwergwüchsige mit ihrem Kaffeewärmer auf dem verformten Kopf, das kleine rosa Ferkelchen, wie Fred sagte – dass Fred also in just diesem Moment die Kellertreppe runterfiel. Die Brille war mit Tesafilm mehr schlecht als recht geflickt.
    Freds Augen funkelten lebendig.
    »Ich hab aber nur zehn Euro. Die brauch ich gleich fürn Frisör.«
    »Ich lad dich ein.«
    »Nun gut, das ist höhere Gewalt«, sagte Fred mit erhobenem Zeigefinger.
    Dies markierte den Beginn des Rituals.
    »Ich hab aber nur ’ne halbe Stunde. Dann muss ich zum Frisör.«
    »Mach dir keinen Kopp.«
    »Nun gut«, sagte Fred. »Ich werde gezwungen.«
    Das war das Ende des Rituals.
    Es stand kein Tisch vor ihnen. Die Bank hatte keine Lehne. Alle anderen Plätze, Tische, an denen schöne Stühle mit Armlehnen gewesen wären, waren besetzt von Menschen, die zu Mittag aßen, und so nahm Thomas Frantz die Haltlosigkeit eines gekrümmten Rückens in Kauf, zog ein Bein an und setzte den weißen Bundeswehrturnschuh auf die Bank. Die Bank bog sich unter seinem Gewicht. Sein Gesicht war rot, und ein leichter Schweißfilm stand auf seinen Wangen.
    »Du hast aber abgenommen«, sagte Frantz.
    »Abgenommen? Kann gar nicht sein. Ich ess wie immer.«
    »Also so gut wie nichts.«
    »Ja, aber ich trink wie immer. 4000 Kalorien täglich.«
    »Du hast aber abgenommen. Man sieht’s in deinem Gesicht. Es ist schmaler geworden.«
    »Kann sein. Können aber auch die langen Haare sein. Gleich hab ich meinen Termin beim Frisör. Acht Euro.«
    »Nicht zehn, wie bei allen Cut&Go’s?«
    »Nee, acht. Der ist neu auf der Münzstraße. Die restlichen zwei geb ich Trinkgeld.«
    »Klar.«
    Frantz sah auf die Tucholskystraße. Ein junger Mann mit Glatze, Handy-Headset und Mappe überquerte sprechend die Kreuzung, eine Frau betrat auf der anderen Seite der Linienstraße eine Boutique.
    »Sag mal, merksch eigentlich was von der Krise?«
    Frantz überlegte.
    »Nein, eigentlich nicht.«
    »Ich auch nicht. Bei mir läuft’s besser denn je. Ich kann mich vor Aufträgen gar nicht retten. Bin völlig überarbeitet«, sagte Fred.
    Der Fred stieß sein einsilbiges Lachen aus.
    »Tha!«
    »Woran liegt’s?«, fragte Frantz.
    »Das liegt daran, dass die Kunden, die ’ne Website wollen oder ein Portal und die früher immer zu den fetten Agenturen gegangen sind, plötzlich auf mich zukommen.«
    »Weil du billiger bist und besser?«
    »Anders kann ich’s mir nicht erklären. Ich sitz praktisch jede Nacht da und programmier. Ich mach nichts anderes mehr. Außer Kneipe, dazwischen. Sonst wär’sch bitter. Hätt ich ja überhaupt kein Leben mehr. Ach ja, und Rechnungen schreiben, die niemand bezahlt. Zahlt ja keiner mehr, oder wenn, dann ersch nach Monaten und nur die Hälfte. Immer noch besser als nix.«
    Fred summte noch ein zufriedenes Ja.
    »Und wie läuft Tabakselbstanbauen.de?«
    »Tha!«, lachte Fred. »Das isch’s ja. Mein Kompagnon verschickt Samen ohne Ende. Die wollen alle anbauen. Am liebsten Geudertheimer. Die Harten bestellen Machorka, wie im Krieg. Horden rufen da an, Horden. Na ja, leider hat er inzwischen fast alle Anteile, der Sack. Dazwischen nervt natürlich die Cynthia. Ich krieg sogar in der Nacht noch

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