Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gehwegschäden

Gehwegschäden

Titel: Gehwegschäden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Kuhn
Vom Netzwerk:
eng anliegendes Baumwollkleid wie eine freche Kreation von Coco Chanel. Ihr Haar war hochgesteckt. Das Kostüm schmiegte sich über die Hüfte und um ihren kleinen, knabenhaften Körper. Frantz nahm eine winzige Tätowierung zwischen ihren Brüsten wahr. Erst auf den zweiten Blick fiel ihm auf, dass sie nichts unter ihrem Kleid trug. Irritiert fühlte sich Frantz vielmehr von ihrem Blick. Er passte nicht zu diesem niedlichen Körper. Es war ein strenger, gerader Blick hinter einer strengen, geraden Brille. So, wie sie tanzte, beinahe ausdruckslos. Ihre Arme dicht am Körper, bewegten sich nur die Beine. In einem Pornofilm hätte man sie als Bibliothekarin besetzt, dachte Frantz. Als Bücherschlampe.
    Dort sitzt noch eine andere Frau. Es ist eine ältere, dickliche Frau. Sie trägt ein schwarzes Korsett, schwarze Strümpfe. Frantz hat auch sie schon seit längerem beobachtet. Auch sie war ruhelos, stand mal hier, mal dort, neben einem oder mehreren Männern. Machte sie sich den Männern gegenüber bemerkbar, durch einen Blick, ein Wort, entfernten sich die Männer. Auch Frantz entfernte sich. Als er wieder durch den abgetrennten Bereich unter der Galerie streifte, sah er, wie sie in der Affenschaukel lag und wartete. Hier oben ist das genauso. Die Frau setzt sich zu diesem Pärchen, zu jener Gruppe Kopulierender, aber niemand beachtet sie. Sie tastet nicht nach einem Körper, wie die anderen. Sie greift nicht ein. Sie sitzt da und wartet.
    In der Mitte der Leiber liegt der König. Eine Frau sitzt aufrecht hinter ihm und massiert seine Schultern. Er streichelt die Brüste einer anderen neben ihm liegenden Frau. Ein alter, einzelner Mann kniet zu seinen Füßen. Er berührt die Innenseiten der Schenkel der liegenden Frau, scheu, zärtlich. Der König lässt ihn gewähren. Die Frau wehrt nicht ab. Die Frau hat nichts zu sagen. Erst als sich der König, Zeichen seiner Langeweile, von ihr abwendet, ändert sie ihre Haltung. Sie wischt die Hand des alten Mannes weg wie ein lästiges Insekt. Das junge Mädchen, das Frantz auf der Tanzfläche beobachtet hatte, liegt nicht weit entfernt auf dem Rücken. Das hübsche Kleid die Hüften hinaufgeschoben, befindet sich ein kleiner junger Mann mit einem langen Ziegenbart, zugestochenem Hals und Rücken auf ihrem Bauch, ihr Haar noch streng gebunden, er küsst sie und stopft ihre Scham mit allen Fingern und dem Daumen seiner rechten Hand.
    Die Hyänen haben sie entdeckt. Sie machen sich daran, über sie herzufallen.
    Thomas Frantz wandte sich ab. Er verließ die Gruppe, verließ die Galerie, gerade als er gehen, als er die Tür hinauf zur Garderobe öffnen wollte, stand Maja auf der Treppe zur Galerie.
    Sie sah ihn an.
    Komm.

7. Fegefeuer. Elvira klopft an, fragt etwas, und Frantz denkt positiv
    Was treibt ihn an, diesen Thomas Frantz, hierhin, dorthin, wo immer er glaubt, das Gute und Richtige zu sehen, aber etwas stellt ihm ein Bein, immer wieder, macht seine Bemühungen mit einem Mal zunichte, wie mit einem Schlag zur Herzspitze oder einem überraschenden Läufer-Matt im siebten Zug? Was ist es, das ihn hemmt, ihn zwingt, mit einiger Gewalt einzureißen, was er sich anderntags so mühselig aufgebaut hat? Sein Feind, das ist er selbst, weiß Thomas Frantz, also wir uns selbst und einander, denkt er, Frantz, er ist ja nicht dumm, und er traut sich selbst ebenso wenig über den Weg wie allen anderen. Er hat Angst. Man müsste ihn eigentlich vor sich selbst schützen. Auf Glück folgt Grausamkeit. Das hat er gelernt im Leben. Auf einen Moment des Glücks, eine kurze Phase der Leichtigkeit folgt das Unausweichliche. Das ist ein Gesetz, eine Maßnahme gegen die Hybris. Frantz, das Findelkind, hat das früh begriffen. Frantz arbeitet dagegen an. Wenn er sich freut, dann macht er sich schlechte Gedanken. Damit die Freude respektive die darauf folgende Ernüchterung nicht zu groß ausfällt. Wenn er sich schlecht fühlt, betrinkt er sich. Er betrinkt sich, um den Blues zu besiegen. Er betrinkt sich, wenn er fröhlich ist. So kann er diesen Zustand noch erhöhen. Thomas Frantz muss immer noch einen drauflegen. Das ist sein Metier.
    Manchmal landet er in einem Hurenhaus, um zu reden. In Kaschemmen, die Geisterbahn oder Letzte Haltestelle heißen. Manchmal kann er seine Rechnungen, seine Miete nicht bezahlen. Er will sich nicht kontrollieren. Verweigert sich, wie ein Kind. Bleibt doch so weit bei Sinnen, dass er genau spürt, wann er sich zum Idioten macht und seine Würde verliert. Das ist

Weitere Kostenlose Bücher