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Gehwegschäden

Gehwegschäden

Titel: Gehwegschäden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Kuhn
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normal, ich hör ja immer mal auf zwischendurch, aber wenn die Irmie wieder kommt, garantier ich für nix.
    Alexanderplatz.
    Ein Obdachloser betritt das Abteil. Straßenfeger, Straßenfeger, lesen Sie neueste Geschichten im Straßenfeger oder unterstützen Sie uns mit einer kleinen Spende.
    Die kommen jetzt jede Fahrt und wollen was verkaufen, sagt die Entenbrust. Gut, also Operncafé, und wann kommt die Irmie?
    Jannowitzbrücke, beide ab.
    Frantz nimmt die U-Bahn nach Kreuzberg. Er will in einem türkischen Fischgeschäft am Kottbusser Tor frische Miesmuscheln kaufen. Dafür nimmt er sich die Zeit. Er hat Marie-France zum Abendessen eingeladen. Das ist seine Spezialität: Miesmuscheln in Weißwein. Es soll ein romantisches Dinner werden in seiner Wohnung, Frantz liebt das und er liebt Muscheln, Marie-France ist schließlich Französin, und sie vergöttert seine Kunst.
    Cicek Pasaji, das Erlebnisplateau zwischen Drogerie und Burgerhouse. Auf dem Markt am Kotti, es sind eigentlich nur zwei Stände, sorgen die türkischen Schreihälse für den Lärm eines Bazars. Hier ist die Stadt noch Weltstadt. Junge Männer mit gestählten Körpern, junge Mädchen mit gestärkten Kopftüchern, grell geschminkt, begeben sich zur Kampfsportschule Kwang Yu, 2. Etage über der Durchfahrt Adalbertstraße, sowie in das Nagelstudio Yasemin. Frantz liebt den Kotti. Wie eine Phantasmagorie Le Corbusiers reihen sich in die Jahre gekommene Gebäude um den Platz, Myriaden identischer Zellen, die Mauern erstrahlen lila und weiß. Die Kopftücher der Mädchen leuchten in den gleichen Farben. Ihr Haar darunter ist aufgesteckt wie von einem Architekten. Es riecht nach Frittenfett, Lamm und Tee. Inter Gida. Die ganze Erlebniswelt kauft hier ein, Senegalesen, Togolesen, am Imbisstisch eine türkische Familie, Araber, Inder vor Pommes rotweiß, türkischer Currywurst und Thermoskanne. Am Eingang zum U-Bahnhof tragen die Männer Kampfhosen und Béret. Bier bei Fuß sehen sie hinab in den Schacht. Frau mit rotem Haar und fetten, nackten Waden wie eine pornographische Zeichnung von Robert Crumb. Abgestürzt. Der ganze Kotti, denkt Frantz, das sind Geschichten aus tausendundeinem Absturz, Barbès-Rochechouart in Berlin, Kampf und Wiedergeburt, Côte d’Ivoire und Kamerun, die Gassen voll Taubendreck; da steht der schwarze R8, 466 PS bei 7000 U/min, quer über das Trottoir. Haschisch, Heroin, Ecstasy & Koks en gros und en détail, Pommes eins zwanzig und so. Die Stadtindianer nuckeln am Schnaps.
    »Pesevenk! Orospu!«, flucht ein Mann, er hustet. Zweimal Mangold und Erdbeeren aus Marokko. Berliner Bank und Vodafone. Ein Sonnenschirm fällt um. Religion ist freiwillig. Die Linke. Leihhaus & Geldwetten. Für Finanzexperten: Fangen wir noch mal ganz einfach an – eins plus eins ist gleich zwei, und da hockt ein Grüppchen müßig auf ihren Gehwagen. Jelder aus’m Fenster schmeißen, det is nich mein Ding. Nee, ick och nich. Ick hab die Früchte imma in Buttermilch, so hält et länger. Der mit dem Drachen am Hals und Tintentränen unter den Augen steht neben den Rollatorenmenschen und schimpft, die Sache ist ernst.
    Der Mongole, der Mongole muss mit.
    Sie holen ihn ab, aufs Revier. Der Kotti soll sauber werden, und der Mongole, der stört, wie er da sitzt auf dem Poller, der doch gemacht ist für ihn, sie zerren an ihm, reißen ihn weg vom Mongolenpoller, Kommse, Kommse ma mit, ein Mann beißt in einen Apfel, und das Messer fällt auf den Gehweg.
    Da klingelt sein Handy. Frantz greift in Gedanken versunken in seine Brusttasche. Im Display sieht er den Namen seiner Freundin.
    »Man spürt, irgendwas ändert sich«, sagt Marie-France.
    Frantz versteht nicht ganz. Er ist noch in dieser anderen Welt, seine Augen haften am Ort der Festnahme, er fragt automatisch nach.
    »Ändert sich? Was meinst du?«
    »Gerade habe ich Anja getroffen«, sagt Marie-France.
    »Wir haben uns unterhalten. Worüber, natürlich unsere Arbeit. Sie ist auch Cutterin. Sie sagt: genau dasselbe! Genau die gleiche Situation wie bei mir. Sie sagt, sie hat bis Januar noch was geschnitten, und dann nichts mehr. Gar nichts. Wie bei mir. Seit letztem Jahr August hab ich schon nichts mehr geschnitten. Bis Juli kriegt sie noch Arbeitslosenhilfe. Und jetzt macht sie alle möglichen Kurse. Sie sagt, man muss überlegen. Vielleicht noch mal was anderes machen. Man spürt, irgendwas ändert sich. Überall. Ich meine, Anja ist siebenunddreißig, die kann noch was machen. Aber was soll ich machen? In

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