Gehwegschäden
würdevoll. Eine Weile schweigen die beiden.
»Nein, wieso?«
Frank: In vier Jahren fängt das Leben an. Höber, Frank Zacharias, geboren 12.3.1977 in Mindelheim. Abitur LSH Schloss Ising, Chiemsee, Englisch, Bio, Reli, Mathe, Facharbeit über Faulkner und Hemingway. Vater früh verstorben, Mutter alleinerziehend, zwei Geschwister, 23 und 25. FU Berlin, Otto-Suhr-Institut, Politikwissenschaft, Hermeneutik, Militär-Soziologie in Potsdam, Promotion über Gaston Bouthoul und Louise Weiss: Gründung des Institut de Polémologie Paris und dessen Einfluss auf die Konflikt- und Friedensforschung. Danach Aushilfskellner (Bankett) Hotel Intercontinental, Budapester Straße 2. Aushilfsbellboy The Regent Berlin, Charlottenstraße 49, Probeazubi zum Hotelfachmann Hotel de Rome, Bebelplatz 37. 1 Zi, Kü, Bad, Weserstraße 17, OH, SF, 2. Etage links. Seit drei Wochen Single. Diabetes Typ 1, Pumpenträger. Zwei Kaninchen, Cindy und Bert (scheiße, kann ich doch auch Kohle machen, Hotelerie, da kommste rum, da siehste was, Uni is Mist, kannste gleich auf Hartz IV, Mensch, Marianne, in nur vier Jahren fängt das Leben an, ja warum kannst du’s bloß nicht erwarten?).
Frantz druckst ein wenig herum.
»Na ja, rein Interesse halber. Das waren Leute, die sich Prekariat nennen. Leute, die glauben, ausgebeutet zu werden, oder sich von einem Praktikum zum anderen hangeln, von Nebenjob zu Nebenjob. So was. Leute wie Sie.«
Frank sieht Frantz mit großen Augen an.
»Wie ich?«
»Sind Sie denn kein Student? Machen Sie das nicht als Ferienjob? Ich meine, diese Verkleidung …«
Frank scheint nicht recht zu verstehen. Er wirkt brüskiert.
»Ferienjob? Verkleidung? Dies ist Teil meiner Ausbildung, Sir. Also, das heißt, wenn ich es gut mache, Sir.«
»Und was heißt das jetzt wieder?«
»Wenn ich mich bewähre, bekomme ich einen Ausbildungsplatz, Sir. Sie glauben gar nicht, wie viele Leute sich hier bewerben. Das Hotel de Rome gehört schließlich zu den Besten der Welt.«
»Okay. Es geht mich zwar nichts an, aber bekommen Sie gutes Geld für Ihre Arbeit?«
»Ja. Das heißt nein. Nicht sehr viel, aber immerhin. Wissen Sie, ich habe einen Freund, der ist gelernter Patissier. Seit einem Jahr arbeitet er in Paris im George V. In der Patisserie. Der muss Geld mitbringen, damit er dort arbeiten darf.«
Frantz schüttelt den Kopf.
»Was glauben Sie? Ich bitte Sie, Sir. Wenn er das drei Jahre gemacht hat, kann er überall arbeiten. Dann bekommt er sicher einen Job. Mit der Reputation eines solchen Hauses …«
Er ist beeindruckt, der Frantz. Er möchte den jungen Mann nicht zu lange von der Vorbereitung auf seine Ausbildung abhalten. Er bedankt sich sehr höflich für die freundliche Führung und verspricht wiederzukommen. Vielleicht als Gast auf der Dachterrasse. Jedenfalls bald. Der Diener geleitet Frantz auf den Platz hinaus. Thomas Frantz verabschiedet sich, der Livrierte verneigt sich, kehrt zurück zu seiner Tür und nimmt Haltung an.
Frantz schlendert über den Bebelplatz. Der Platz ist übersät von Flyern und Papier. Eine Gruppe Touristen glotzt durchs Guckloch im Boden. Sie sehen leere Regale. Der Alte dreht noch immer seine Runden. Auf den Treppen der Staatsoper ein Trüppchen Stadtpunks, Alexianer vermutet Frantz. Aus einiger Ferne klingt noch das Technotamtam herüber, zwo, drei, vier, und Frantz beschließt, mit seinem kaputten Fahrrad, der Antrieb ist uralt, ständig dreht die Kette durch, zur Strandbar am Bode-Museum zu fahren.
Das ist ein herrlicher Flecken Berlin.
Gleich unterhalb der Monbijoubrücke haben sie bunte Liegestühle am Fluss aufgestellt, dort stehen Palmen, Rhododendren und Oleander in Kübeln herum. Hunderte finden sich an warmen Tagen ein und gucken aufs Wasser. Vor dem Freilufttheater gibt es eine Bar, man nimmt sich Getränke mit runter zum Strand, der eigentlich keiner mehr ist, seit ein Investor den Park erneuern ließ als Dreingabe für die Errichtung eines Wohnblocks mit Townhousecharakter zur Oranienburger Straße hin; seither stapft man statt durch Sand über eine dünne Schicht sandfarbener Kiesel auf sandfarbenem Beton. Das ist barfuß etwas unangenehm, tut der Sache aber keinen Abbruch.
Auf der Spree die Stadtdampfer. Sie fahren im selben Takt vorüber wie die Hochbahnen vom Hackeschen Markt zur Friedrichstraße. Vollbepackt mit Ausflüglern bis zum letzten Platz im Bug. In der Strandbar, vielmehr auf den sandfarbenen Kieseln, lümmeln die Menschen in Liegestühlen, die an der Balustrade
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