Gehwegschäden
des Platzes, der benannt ist nach dem tapferen Schweizerlein und Begründer der deutschen sozialdemokratischen Arbeiterbewegung, das Haus liegt in Form und Stil dem Forum Fridericianum wohl angepasst zwischen Fakultät und Sankt-Hedwigs-Kathedrale.
Die Krise, ruft jetzt der sympathische junge Mann, ist schon lange existent in den Slums unserer Stadt, die bevölkert sind von multinationalen Überflüssigen, von Schattengesellschaften ohne Perspektive.
Frantz kann jetzt einen Butler auf dem Dachgarten erkennen. Der Mann trägt so eine Art Frack und scheint etwas mit einer Kelle zu servieren; eine Suppe, denkt Frantz. Eine Potage du jour. Vielleicht, entsprechend der Jahreszeit, Spargelcreme?
Revolution!, ruft der junge Mann. Die zunehmenden Proteste gegen den Sozialabbau zeigen, dass die Zeit des ruhigen Hinterlands zu Ende ist! Das Kapital und seine Vasallen fürchten um ihre Herrschaft. Aufruhr! Proteste! Aktionen! Mord! Das Kapital zittert! Der Aufbau von Gegenmacht bewegt die gesamte Linke!
Auf dem Dachgarten des Bankhauses Löbbecke treten Gäste ans Geländer, es sind zwei Herren und eine Dame, wohl um zu sehen, wer da unten einen solchen Spektakel macht.
Krrzzzt.
Also Schluss mit dem Kapitalismus, schreit wieder die grässliche Stimme, Schluss mit der Vereinzelung der Superheldinnen! Organisieren wir das schöne Leben, damit wir bald sagen können: Es war nicht alles schlecht im Kapitalismus!
Es erklingt ein lauter Technobeat, ein aggressiver Rhythmus, der in regelmäßigen Abständen in der Art eines Club Mix unterbrochen wird von einem Refrain: We’ve got the power! Der sympathische junge Mann am Mikrofon fällt mitsingend in den Refrain ein, nicht ohne vor jeder neuen Zeile »zwo, drei, vier« zu skandieren. Die letzten Tapeziertische werden zusammengeklappt und verladen. Man hört laute Trillerpfeifen. Zwo, drei, vier, we’ve got the power! Der Clown winkt, die Wagenburg setzt sich in Bewegung. Auf dem Dachgarten hat man das Interesse verloren und ist an die Tische zurückgekehrt. Zwo, drei, vier. Frantz fragt sich, was es wohl zum Hauptgang gibt. Drei, vier. Vielleicht Entenbrust mit Broccoli. We’ve got the power! Nickend, stampfend, zuckend walzt der Menschenzug in Richtung Brandenburger Tor. Der Bebelplatz leert sich. Zwo, drei, vier. Und danach Cassis-Sorbet?
Zurück bleiben mit Tüten, Taschen und Müllsäcken bewehrte Männer und Frauen, auch einige Kinder sind darunter, mit Ranzen. Sie schlagen sich um leere Bier- und Plastikflaschen auf dem Platz. Zwei junge Männer verjagen einen Alten. Der verteidigt seinen rundherum mit blauen Säcken behangenen Rollator wie eine Festung. Der Alte wehrt sich erbittert, er keift, er spuckt, die Frauen gehen ihm aus dem Weg und die Kinder, die es gezielt auf verstreutes Leergut abgesehen haben. Wie Balljungen auf einem Tennisplatz preschen sie hervor, bücken sich, greifen eine Flasche und rennen wieder an den Spielfeldrand. Frantz beobachtet das. Er wird traurig und wütend zugleich. Die wichtigste Errungenschaft der europäischen Geschichte, denkt Frantz, ist nicht die Festschreibung von Menschenrechten. Der Alte hustet, er bleibt stehen. Nicht das Recht auf Streik, die Freiheit des Individuums oder die Einführung der Sozialversicherung. Es ist die Sicherheit von Eigentum. Der ungehinderte Genuss von Besitz. So ist das. Der Alte nimmt einen Schluck, die Flasche hat er sich erkämpft.
Frantz steht auf, reckt sich, packt ein paar der Zeitungen in seinen Rucksack und nähert sich dem alten Bankhaus Löbbecke. Es parken zwei schwarze Limousinen vor dem Eingang, an dem mehrere Messingschilder angebracht sind. »Hotel de Rome« steht auf einem. Ein junger Mann in einer Livree hat vor dem Eingang Haltung angenommen. »Member of the Leading Hotels of the World« steht auf einem anderen Schild. »Superior. Deutsche Hotelklassifizierung.« Darunter fünf Sterne.
Der junge Mann in der Livree spricht Frantz an.
»May I help you, sir?«
»Ich notiere mir ein paar Dinge. Bin von der Presse. Können Sie mir sagen, welche Veranstaltung gerade auf dem Dachgarten stattfindet?«
»Natürlich, Sir. Ein Treffen des Rotary Clubs. Nein, warten Sie! Bankiers glaub ich, ein Gesellschaftstreffen, heute. Vom Bankhaus Löbbecke. Sorry. May I help you, sir?«
Ein Mann mit einem kleinen Lederkoffer sprintet die Stufen ins Hotel hinauf. Er nimmt keine Notiz von dem jungen Bediensteten. Dieser springt ihm hinterher.
»Sir, sorry, may I carry your luggage?«, hört ihn Frantz
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