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Gehwegschäden

Gehwegschäden

Titel: Gehwegschäden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Kuhn
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Kalender: nächstes Jahr zwischen erstem und vierzehntem Mai Bahncard kündigen? Hä? Sonst erneuert sie sich nämlich. So geht das. Und wenn du dich beschweren willst, hängst du ein Leben lang in der Warteschleife und zahlst dafür. So ist das. Das ganze Land wird doch abgewrackt.«
    Fred öffnete sein letztes Bier mit dem Feuerzeug und nahm einen Schluck. Frantz krümmte sich und fasste an seinen Bauch.
    »Das ist, als würde deine Milz die Leber überfallen, die Lunge das Gehirn erpressen und die Nieren den Magen ausrauben. Hands up!«
    »Hasch aber die Rechnung ohne Bauchspeicheldrüse gemacht, die linke Bazille! Tha! Prosch!«
    Frantz lachte. Fred gab ihm die Flasche.
    »Stunde um Stunde.«
    Frantz trank.
    »Gegen die Heiserkeit.«
    »Ach, was willsch?«
    »Ja was soll’s. Wir haben ja noch die Werbung. Intelligente Werbung macht aus der betrügerischen Telefongesellschaft wieder das beliebteste Unternehmen des Landes. So geht das.«
    »Scheiß auf die Telefongesellschaft. Die kündige mer einfach.«
    »Scheiß drauf.«
    Thomas Frantz summte die kurze Melodie der Telefongesellschaft. Fred fischte sich eine Kippe aus Frantzens Schachtel. Frantz spürte wieder ein Stechen.
    »Au!«
    »Was?«
    »Nix. Aber weißt du was?«
    »Was?«
    »Weißt du noch, wo wir mal hergekommen sind? Als mein Ziehvater gestorben ist, der war einfacher Kraftfahrer, so ein Knochen, der fuhr Eisenmatten, Stahl, Rohre und so zu den Baustellen auf die Dörfer raus, da kam jede Weihnachten ein Mann von der Firma und brachte einen Fresskorb. Nix Großes. Du weißt schon. Kaffee, Schinken, ’ne Schachtel Pralinen. War auch mal ein schönes Radio dabei. Fünfzehn Jahre lang. Nachdem er gestorben war, bekamen wir von ihm noch fünfzehn Jahre ein Weihnachtsgeschenk! So anständig waren die Firmen einmal!«
    »Jop. Kann mich erinnern.«
    »Und weißt du noch was?«
    »Was?«
    »Wenn du vor zwanzig Jahren in eine Kreuzberger Kneipe gingst und sagtest, du bist ein Sozialarbeiter, warst du ein Held. Wenn du in dieselbe Kneipe gingst und sagtest, du bist ein Werber, warst du ein Arschloch.«
    »Stimmt.«
    »Gehst du heute in die Kneipe, ist der Werber der große Zampano und der Sozialarbeiter ein Idiot. Weil er sich um andere kümmert und dafür auch noch wenig Geld kriegt.«
    »Stimmt auch.«
    »Und was ist der Job heute? Aufräumen. Den Müll wegschaffen. So ist das. Es geht nicht mehr darum, Leute von der Straße wegzubringen, nein, es geht darum, sie woanders hinzubringen. Dorthin, wo sie nicht weiter auffällig sind. Die Sozialarbeiter sorgen jetzt dafür, dass die sauberen Viertel auch sauber bleiben. Dazu werden sie gezielt eingesetzt. So geht das.«
    »Hmm?«
    Fred zog an der Zigarette und zuckte mit den Schultern. Frantz nahm noch einen Schluck und reichte Fred die Flasche.
    Eine Weile schwiegen sie.
    Fred legte den Arm um Frantzens Schulter.
    »Hei, ’s isch, wie’s isch.«
    Frantz warf seine Kippe in die Tiefgarage.
    Der Fred, das ist doch noch ein Mensch, dachte Frantz, der Fred, das ist noch ein Mensch.
    »Weißt du was?«
    »Was?«
    »Wenn du glaubst, du musst irgendwas sein im Leben, sei ein Mensch.«
    »Ischja gud«, sagte Fred.

25. Cynthia muss immer zwei Strich links daneben halten
    Thomas Frantz hat sofort das Büro verlassen, nachdem Cynthia ihn angerufen hatte. Sie seien überfallen worden. In der Nacht, mitten in Berlin. Doch, doch, alle beide, aber den Fred habe es übel erwischt. Sie sei wohlauf, versicherte sie Frantz, völlig unversehrt, er konnte sich das alles gar nicht vorstellen, zog sofort die Jacke über und machte sich auf den Weg.
    Fred sitzt auf der Couch und hat nur ein Auge. Das andere ist völlig bandagiert. Darüber die lädierte Brille. Sein rechter Arm hängt in einer Schlinge. Er sieht furchtbar zerhaut aus, als hätte ihn ein Bus überfahren. Auf dem Gips prangt ein rotes Herz.
    »Moin, moin. Bisch extra herkomme?«
    Frantz ist noch außer Atem. Fred winkt ab, mit der Linken.
    »Ach, ’s geht schon wieder.«
    Er führt das Bierglas zum Mund.
    »Prosch!«
    Im Flur türmen sich leere Getränkekästen. Er wird beherrscht von einem breitbeinigen Kellerregal aus schwarzem PVC, Akten, Kartons. In Freds Arbeitszimmer blickt man auf die Nikolaikirche, Bildschirme und Bierflaschen. Über dem Stuhl hängt eine Schandgeige in rustikal hölzerner Ausfertigung. Cynthia sieht gut aus. Sie ist weiblicher geworden, erscheint es Frantz. Die zusätzliche Beule auf ihrem Kopf ist verschwunden. Sie wirkt frisch und

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