Gehwegschäden
aufgeräumt, voller Elan rollt sie durch den Flur.
»Freed! Wo isn mein rotes Haarband? Ich kann doch so nich rumlaufen, wenn Besuch da ist!«
»Du kannsch überhaupt nicht laufen!«
Das Badezimmer, die Tür steht halboffen, gleicht einem durchwühlten Lager für kosmetische Produkte. Aus der Küche dringt der Duft eines kalten Auflaufs. Das Wohnzimmer ist klein. Blaues Sofa, Glastisch, blauer Sessel. Anzahl und Art der Gegenstände in den Wandregalen sowie auf dem Fußboden vermitteln den Eindruck, hier lebe eine Familie mit Kleinkindern. Fred stellt das Bier auf den Tisch. Dort steht eine kleine geöffnete Flasche Prosecco und ein halbleeres Sektglas.
»Fred!«
»Ischja gut. Ich weiß nicht, wo dein rotes Haarband is. Vielleicht hasch es in der Küche liegen gelassen?«
Es waren vier. Sie seien aus dem Dunkel wie aus dem Nichts gekommen. Mit Fahrrädern, Jugendliche offenbar. Fred und Cynthia waren auf dem Nachhauseweg gewesen, gegen zwei Uhr morgens. Sie kamen aus dem Anna Koschke, und Fred hatte Cynthia im Sixties noch zum Hamburger eingeladen, eine Gelegenheit, bei der Fred einmal feste Nahrung zu sich genommen hatte, sie gingen zu Fuß. Cynthias roten Golf ließen sie in der Großen Hamburger stehen. Sie durchquerten den Park und bogen gerade ins Nikolaiviertel, als sie auftauchten. Sie umringten Fred und Cynthia mit ihren Fahrrädern, hielten an und stiegen ab. Mindestens zwei seien groß und kräftig gewesen, im Laternenlicht habe Fred das gar nicht so genau erkennen können. Der Anführer der Bande, Cynthia nennt ihn so, schlug sofort zu. Er erwischte Fred am Wangenknochen. Wie ’n Boxer, sagt Cynthia. Seine ohnehin lädierte Brille knackste, und er habe sofort Sterne gesehen, sagt Fred. Ein Zweiter rammte ihn ziemlich zeitgleich in den Rücken. Wie ein Footballspieler. Er habe noch einen kurzen Moment an Maggie, die Footballtranse, gedacht, da ging er schon zu Boden. Im Fallen habe er versucht, den Aufprall mit der Rechten abzufedern, wobei er sich einen feinen, aber schmerzhaften Riss im Oberarmköpfchen des Ellenbogens zugezogen habe. Um Cynthia kümmerten sich die Angreifer gar nicht.
Das war ein Fehler.
Gerade als sich der Rammbock über Fred beugte, ihm den Rest zu geben und nach der Geldbörse an seinem Gesäß zu greifen, traf den Boxer ein Geschoss mit derart durchschlagender Wucht und Präzision am Kopf, dass er augenblicklich und der Länge nach umfiel. Vermutlich, sagt Fred, sei er bereits bewusstlos auf dem Pflaster eingetroffen.
»Den Rest der Bande hat se mit der Handtasche in die Flucht geschlagen. Die waren so baff, dass se sofort abgehauen sind. Die Cynthia hat geschrien und gekeift, als würde se …«
»Ach, ’n bisschen laut sein reicht doch schon.«
Cynthia lächelt. Sie wird ein wenig rot.
»Ich hab immer alles mit meiner Stimme gemacht. Meine Stimme ist das Einzige, das bei mir wirklich stark ausgeprägt ist. Ich bin ja sonst so klein. Wenn ich etwas wirklich gut kann, dann isses keifen.«
»Stimmt. Kann ich bestätigen. Aber dass du auch so gut werfen kannst, hab ich nicht gewusst. Ich hab’s nur noch so schemenhaft aus’m Augenwinkel gesehen, die Brille war ja schon kaputt.«
»Was hast du denn geworfen?«, fragt Thomas Frantz.
»Na Freds Bierflasche! Die, die er immer hinten in meinem Rücken hat. In dem Getränkehalter, den er da drangebaut hat. Ich glaube, sie war noch fast voll.«
»Kann ich auch bestätigen.«
Cynthia demonstriert einen Wurf.
»Rechts gezielt, links geworfen. Is schon ziemlich geil. Genau auf die Zwölf. Das hammer immer geübt beim Volksfest auf’m Alex«, sagt Fred.
»Rechts gezielt und links geworfen?«
Frantz versteht nicht ganz.
»Wegen dem Neglect.«
»Was für ein Neglect?«
»Ach, das weisch gar nicht?«
»Ich weiß, dass ich immer zwei Strich links neben mein Ziel halten muss.«
Cynthia lacht.
»Aber das Beschte kommt noch: Als die anderen weg waren, is der Kerl wieder aufgewacht. Die Cynthia is zu ihm hin und hat’n einfach an der Hand gehalten. Bis die Polizei kam. Der war so verdattert, dass er einfach stehen geblieben ist. Wär er weggelaufen, der Depp, wär ihm gar nix passiert. So hamsen natürlich mitgenommen. Tha!«
»Er hat die ganze Zeit gezittert. Erst wollt ich ihm ’ne Ohrfeige hauen, so wütend war ich, aber da wär ich nich hingekommen, an sein Kinn. Dann hat er mir fast leidgetan. Es passiert ihm sowieso nich viel. Der war ja noch keine sechzehn.«
»Der war achtzehn!«
»Woher weißt’n
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