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Geier (German Edition)

Geier (German Edition)

Titel: Geier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter J. Kraus
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sah das aus, wie ein auseinandergeschnittenes Kinderkarussell.
    Ich stand im Hof, das Motorrad zwischen den Beinen, und staunte. Dahinter Sand. Nichts als Sand und Steine, eingefaßt von einer entfernten schwarzen Bergkette. Kniehohes trockenes Gestrüpp wuchs in grauen klapperschlangenbewohnten Büscheln, Chollakakteen ließen ihre Stacheln goldgelb in der Sonne leuchten. Nur die Stromleitungen am Horizont ließen auf halbwegs zivilisierte Nachbarn irgendwo in unsichtbarer Ferne hoffen.
     
    „Wir haben dicht. Fahren Sie weiter!“ Sie stand auf der obersten Stufe des Wohnhauses, wedelte mich mit beiden Handrücken fort, leuchtete platinblond und hatte eine Stimme, die Glas schneiden würde. Neben ihr tanzte eine Windhose. Vermutlich die einzige Hose, die sie hier nicht anhat. Was für eine Beißzange! Ich marschierte tapfer zu ihr hin.
    „Ich suche Miss Misty B. Irving – können Sie mir wohl sagen, wo ich die Dame antreffe, Gnädigste?“ Mit total ernstem Gesicht. Und fester Stimme.
    Sie schniefte und schaute schon viel weniger streng. „Und wer sind sie? Wenn ich fragen darf.“ Der Zusatz kam etwas eilig. Sie kannte sich mit Kinderstube aus, die Xanthippe.
    „Sie erwartet mich. Wenn Sie ihr bitte ausrichten, dass ihr Besucher da ist, dann weiß sie schon.“ Ich hätte ihr zu gern den Hintern getätschelt, aber das wäre dann doch zuviel gewesen. Sie drehte sich auf ihren hochhackigen – in der Wüste! – roten Schuhen um und wackelte durch die Tür. Die sie im Vorbeigehen mit Wucht ins Schloss warf. Im Garten neben dem Haus fing ein Köter an zu toben. Irgendwer schrie, er solle das Maul halten, was ihn nicht im Geringsten kümmerte. Mein lieber Mann!
     
    Die Platinblonde ließ mich warten. Endlich wurde die Tür geöffnet und sie stand wieder da. Ich wollte schon pampig werden, als sie eine Handbewegung machte, die in diesen Kreisen wohl „treten Sie näher, junger Mann“ bedeutete. Ich trat also.
    „Tut mir leid, dass ich Sie warten ließ – ich bin Misty Bea“, überraschte sie mich. Ihre Hand war warm und trocken. Ich war immer der Meinung, solche Hyänen hätten feuchte Pfoten.
    „Ich habe Padre Ignacio angerufen – der hat Sie beschrieben. Man kann nicht vorsichtig genug sein“, meinte sie, und hatte recht damit. Nach meinem Monat! Hatte verdammt recht mit dem Spruch.
    „Und mit Motorradfahrern haben wir hier leider keine guten Erfahrungen gemacht“, ließ sie mich spitz wissen. „Deshalb war ich wohl etwas bestimmt. Tut mir leid.“
    Ich winkte großzügig ab. No problem, Verehrteste. Sie schenkte mir ein Strahlelächeln. Showtime.
     
    Ich gab ihr meinen Helm, zog die Lederjacke aus und setzte mich in den Sessel, auf den sie mit dem Kinn zielte. „Bier?“ Gern. Wie lieb. Sie öffnete die Kühlschranktür in der Küche und klapperte mit Flaschen, während ich vom Sessel aus ihr Wohnzimmer anschaute. Vernünftig eingerichtet. Ein Schreibtisch, daneben Stehlampe, Tisch und vier Bürostühle. Noch mal eine Sitzgruppe am Kamin, ein Riesenfernseher in der Ecke, Wandlampen, die sicher angenehmes Licht warfen, wenn die deckenhohen Fenster Nacht zeigten.
    Häkeldecken, allerdings. Hübsche Bilder – keine röhrenden Hirsche, keine Elvisse auf schwarzem Samt, nichtmal die großköpfigen Kinderchen mit den Riesenaugen, ohne die kein amerikanischer Amateurpuff auskommt.
    Ein an der Decke angebrachter Spotscheinwerfer beleuchtete ein Plakat an der Rückwand. Die erheblich jüngere Hausherrin in Berufspose, darüber riesig ihr Name und der weltberühmte Schriftzug eines Pariser Nachtklubs. Von meinem Sessel aus konnte ich das Auftrittsdatum nicht sehen, und ich wollte nicht schon jetzt neugierig sein.
     
    Eine Treppe führte nach oben, Zimmertüren öffneten auf einen Gang im zweiten Stock. Alles in allem ein hübsches, einigermaßen typisches Familienheim. Bis auf das Plakat, natürlich.
     
    Wir saßen da, beäugten uns gegenseitig über den Rand unserer Bierflaschen, und wussten nicht, wo wir anfangen sollten.
     
    Sie sprach als erste. „Ignacio hat mir erzählt, dass Sie in Gefahr sind. Dass jemand versucht, Sie um die Ecke zu bringen. Ich kenne ihn schon lange. Wenn er für jemanden um Hilfe bittet, dann tue ich, was ich kann. Er täuscht sich nicht in Menschen, und nach dem, was er für mich getan hat, kann ich ihm keine Bitte ausschlagen.“ Sie sah, dass ich fragen wollte. „Später mal,“ sagte sie, „ich erzähle Ihnen das vielleicht später mal. Falls Sie so lange leben.“

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