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Geier (German Edition)

Geier (German Edition)

Titel: Geier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter J. Kraus
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Auf der oberen Stufe blieb sie stehen, sah zu mir hinauf, stellte sich auf die Zehenspitzen und winkte. Ich winkte zögernd zurück. Dann schloss sie die Tür hinter sich.
    Ich sah sie durch ihren winzigen Häkelvorhang. Sie stand in der Küche und mixte sich wohl einen Schlaftrunk, denn sie hob nach einer Weile ein Cocktailglas an die Lippen und trank. Dann ging das Licht aus. Ich wünschte mir, ich könne dort drüben sein.
     
    Am Donnerstag kam ich um halb neun die Treppe herunter. „Mann, riecht das gut! Ich bin vom brutzelnden Speck aufgewacht. Gottseidank, sonst hätte ich den Tag verpennt.“
    Misty lächelte nickend. Ich setzte mich zu ihr an den Küchentisch, während eine mollige Mexikanerin den Herd bediente.
    „Gut geschlafen?“
    „Prima, danke. Ich bin sofort eingeschlafen. War noch viel los?“
    Sie verstand nicht gleich. „Ach so, unsere Abendvorstellung. Nee, eigentlich machen wir das unter der Woche nur auf Wunsch. Sonst kommt doch keiner. Am Wochenende, allerdings, da ist oft der Teufel los. Hier in der Gegend gibt´s ja wenig zu sehen, und so ein scharfer Strip ist doch was Feines. Am Wochenende sind wir oft ausverkauft.“
    Sie hatte Papiere vor sich. Ich nahm an, dass sie arbeiten wollte. Was soll man außerdem auf so eine Story antworten? Ich staunte sowieso, dass im Zeitalter der überall erhältlichen Pornografie Stripperinnen überhaupt noch Arbeit fanden. Wie kommt man gegen Internet und Downloads an? Aber offenbar gab es doch noch Traditionalisten.
     
    Das Frühstück war unverschämt gut. Entweder hatte sie einen Bäcker im Haus oder es wurden noch frische Brötchen angeliefert. Wie früher, als Milch und Brot frühmorgens vor die Haustür gestellt wurden. Wie die Zeitung auch.
    „Klar. Wir haben hier einen alten Deutschen, der seit fünfzig Jahren jeden Tag seine Brötchen liefert. Und auch Milch, stimmt. Der hat so ein Lieferwägelchen, so eines ohne Türen, das er im Stehen fährt – wie damals in der Stadt. Klettert mühsam rein und raus aus dem Ding, stellt seine Ware vor die Haustür. Dabei muss der Achtzig sein, aber aufhören will er nicht, sagt er immer. Lieber jeden Morgen um zwei zu backen anfangen, und um acht haben wir Brötchen und Milch.“ Sie grinste. Stark.
    Auf dem Land überlebt das alte Nostalgieamerika. Wäre in der Stadt schon ewig nicht mehr denkbar. Entweder würde der betagte Milchmann ausgeraubt oder seine Lieferung von der Stufe geklaut. Die Zeiten haben sich nicht unbedingt zum Besseren verändert.
     
    Nach unserem Frühstück fragte sie, ob ich Lust habe, mit ihr über die Ranch zu fahren. Sie zeigt mir dann, wo alles ist. Natürlich. Ich schnallte meinen Backpack um, rieb mich dick mit Sonnenschutz ein und stieg zu ihr in einen uralten Jeep. „Baujahr ´71“, lachte sie. „Den hat mein Vater aus seinem Privatkrieg mitgebracht. Hat ihn der Army geklaut. Ausbilder war er, in San Diego. Als sie ihn ´75 nach der Vietnampleite aus dem Militär entlassen haben, ist er wie jeden Tag in seinen Jeep gestiegen und losgefahren. Hat erst zu Hause gemerkt, dass er ja den Dienstwagen dabei hat. Hat er jedenfalls sein Leben lang behauptet.“
     
    Sie fuhr quer über ihr Stück Wüste. Über Stock und Stein, durch Wadis und über Dünen, schaltete gelegentlich den Vierradantrieb ein und kurvte unter einem unendlichen hellblauen Himmel, unter einer grellen Sonne durch die Mojave. In der Ferne führte die Interstate 10 von San Bernardino nach Needles – von Barstow bis Needles an der Grenze Arizonas waren es hundertfünfzig Kilometer Einsamkeit, von einer einzigen Tankstelle unterbrochen. Wir näherten uns einer trotz der strahlenden Sonnenhelligkeit tiefdunklen Bergkette.
    „Vulkangestein“, sagte sie. „Wir kommen gleich auf ein recht großes Lavabett, und dahinter stehen diese schroffen Berge, die irgendwann aus der Erde brachen.“ Hübsch. Passten zu meiner derzeitigen Grundstimmung.
     
    Die Lava lag nun schon einige Tausend Jahre auf dem Wüstenboden, aber sie roch noch immer nach Feuer und Mineralien. Risse und Brüche machten das Gehen auf dem glänzenden Gestein gefährlich, aber sie verschafften Gräsern und Wildblumen die nötigen Nährstoffe, um in der Wüste Wurzeln zu schlagen. Erstaunlich, wie drohend die Umgebung aussah – nur durch das lichtschluckende schwarzgrau des porösen Gesteins. Mich fror. Misty schaute mich an und lachte.
    „Geht jedem so. Es ist wirklich ein Höllengestein, wie die Alten meinten. Die Indianer waren sogar

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