Geier (German Edition)
Ignacio. „Die Missionsgründer konvertierten ihre Heidenschäfchen auf Teufel komm raus, wenn man das so ausdrücken kann“, erzählte er, als wir vorm Schrank standen und die erdfeuchte Kühle genossen, die uns entgegenkam, „aber sie trauten ihnen nicht. Also gruben sie in aller Heimlichkeit eine Reihe von Gängen unter der Mission.”
Ich staunte. Solch mißtrauische Mönche?
“Von jeder der damaligen Klausen in einen Verteilergang, von dem aus jedes Zimmer im Gebäude ungesehen erreicht werden konnte. Und natürlich führten mehrere Gänge nach draußen. Im Friedhof ist ein falsches Grab; der Grabstein kann von innen entriegelt werden und gibt den Gang frei. Neben der Remise mündet ein Stollen, und der längste führt einen Viertelkilometer zu einer vom Blitz ausgehöhlten Eiche. Im Stamm ist eine Tür, die bisher noch nie entdeckt wurde.”
Die waren auf Zack, die alten spanischen Missionare. Lehrten, tauften, indoktrinierten, aber trauten ihren neuen Schäfchen nicht über den Weg.
“Also merke dir; falls du mal ganz schnell verschwinden musst, in den Schrank. Und von dort aus wo immer du hinmusst. Verhungern und verdursten kannst du übrigens unten nicht. Da ist es immer so schön kühl, dass wir dort unsere Getränke aufbewahren und unseren Vorrat an Verderblichem.“
Wir gingen durch, und ich war fasziniert. Nur die verspiegelten Kleiderschranktüren gefielen mir nicht. Die waren nämlich von innen durchsichtig, weil in Augenhöhe ein kopfgroßes Loch ins Holz geschnitten war. Generationen von Franziskanern werden sich doch nicht als Spanner vergnügt haben? Die Welt hält immer und überall Überraschungen parat.
Ich lebte mich schnell ein. Schön war die Regelmäßigkeit, mit der das Ordensleben ablief. Alles war geplant, alles geordnet. Jedes Ding hatte seinen Platz, jede Handlung ihre Berechtigung. Ein völlig neues Lebensgefühl für mich Chaoten. Mir gefiel das.
Ich war drei Tage da, als ich mich schon wieder im Fernsehen sah. Schon wieder als Leiche. Und als gefährlicher Drogenhändler, den das gerechte Schicksal ereilt hatte. Wie kürzlich.
Offenbar war ich ertrunken. Freiwillig ins Wasser, oben am Lake Mead. Hatte ein Motorboot gemietet, war auf den See hinausgefahren und nicht wiedergekommen. Der Bootsverleiher hatte abends die Parkpolizei benachrichtigt, die eine Suche einleitete. Ein Hundeführer fand meine Kleidung am Ufer, darin einen herzzerreißenden Abschiedsbrief. Eine Stunde später, als es wieder hell war und die Hubschrauber fliegen durften, entdeckte einer aus der Luft das verlassene Motorboot, Tank leer, Motor kalt.
Man bezweifelte, dass ich auftauchen würde. Der See hatte hier eine derart schnelle Strömung, dass ich vermutlich in den Damm gerissen wurde, auf meinem verwirbelten Weg in den unteren Colorado noch schnell ein bisschen Strom erzeugt hatte und seither erheblich verkleinert zum Golf von Kalifornien unterwegs war.
Sie spekulierten nicht lange, wer denn an meiner Stelle im Cadillac gesessen hatte. Ein Unbekannter, vermutlich aus der Drogenszene, hieß es. Weil es so schön passte, wurde mir die Untat in die Schuhe geschoben, nach dem Muster: Drogenmenschen ist alles zuzutrauen. Die sind unberechenbar. Wie Fernsehfritzen, dachte ich mir.
Den Abschluss solcher Meldungen kennt man nur zu gut. Die Polizei ermittelt. Bullshit.
Saubere Arbeit, Sammy! Der hatte mir zwar bis in alle Ewigkeit den Ruf versaut, aber den würde ich sowieso nie wieder brauchen. Sah alles sehr echt aus, dem Leben entrissen. Wow. Sam Sheerstein war sein Geld wert, wie viel es auch sein mochte.
Allerdings schauten mich die Herren Ordensbrüder ganz seltsam an. Die guckten doch auch jeden Abend die Nachrichten an. Die mussten weiß ich was von mir denken. Also sprach ich mit Ignacio.
„Ach was, die denken sich ihren Teil, aber unternehmen werden die nichts. Geht gegen unseren Auftrag – der Orden hat sich geschworen, Menschen vor Unbill zu schützen. Und du hast Scheiße am Hacken, wie Unbill modern heißt. Also mach dir keine Sorgen.“ Machte ich aber doch.
Ignacio räusperte sich am Abendbrottisch und sprach: „Brüder! Ich weiß, dass ihr seit dieser unseligen – und offenbar falschen – Nachrichtenmeldung überlegt, wer und was unser Gast nun wirklich ist. Darf ich euch nicht genau sagen, weil er in großer Gefahr schwebt und das Wissen davon auch für euch gefährlich werden könnte. Was er nicht will. Aber ich kann euch bestätigen, als künftiger Ordensbruder
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