Geier (German Edition)
meines verpfuschten Lebens und tragischen Endes im tiefen, kalten Wasser des Lake Mead las.
Es war wirklich zum Heulen; die hatten einen Mist recherchiert, der selbst mich verblüffte. Und als ich das so las, musste ich urplötzlich an mein Mütterchen denken. Die alte Dame saß sicher in ihrem teuren Haus am Hang und trauerte. Worüber ich mich schämte.
„Der kommt in einer Stunde vorbei“, meldete Ignacio. Ob er mir noch einen Gefallen tun könne und meine Mutter anrufen? Ihr sagen, dass ich lebe, gesund und munter bin und nur momentan die Rübe einziehe. Das fand er unglaublich dämlich.
„Wie soll sie mir glauben, dass ich ihr die Wahrheit sage, wenn sie nichtmal weiß, wer ich bin? Denn mich mit Namen und Anschrift melden wäre wohl das Dümmste, das ich machen könnte.“
„Stimmt. Hab ich nicht dran gedacht, aber klar. Wie wär´s, wenn du deinen Kollegen in der All-Saints-Church in Arroyo Grande anrufen würdest und den bitten? Das ist ihre Kirche, da geht sie zwar nur Ostern und Weihnachten hin, aber den Priester kennt sie trotzdem.“
„Gute Idee – Father Flanagan kenne ich auch, sogar recht gut. Der nimmt seine Gelübde ernst; mit dem kann ich reden, auf den ist Verlass.“
Was er auch tat. Flanagan, trotzdem er mich für Beelzebub Junior hielt, versprach seinem Bruder in Christus, sofort die Mutter Gutman zu besuchen und ihr unter vier Augen meine Botschaft auszurichten.
Ignacios Identitätslieferant meldete sich gegen halb elf im Büro. Ein winziges Männchen, bleich und unrasiert, mit einem Polaroidkoffer unterm Arm, unter dem Gewicht eines hölzernen Stativs gebeugt. Er schaute Ignacio ängstlich an und lebte sichtlich auf, als der ihn freundlich begrüßte. Ich nahm seinen Koffer, der Ordensbruder schnappte das Stativ, und wir gingen zum Refektorium. Der Kleine nickte, als er den hellen, langen Saal sah. „Kann ich hier arbeiten?“
„Nee, Bobby, aber deine Fotos machen. Arbeiten kannst du bei mir hinten. Da gehen wir nachher hin.“
Die beiden schleppten noch einiges aus Bobbys Kastenwagen. Einen kompletten PC, einen sauschweren Farbdrucker, alles hatte er dabei, und alles musste ins Arbeitszimmer gebracht und angeschlossen werden. Keine einfache Sache, so eine Passfälschung, schien mir.
Er baute seine Passfotokamera auf, ich setzte mich vor eine schnell gespannte Leinwand, und er machte Fotos. Mit Krawatte, mit Brille, mit Klebebart, mit Perücke. Und ohne. Ich kam mir vor wie einer, der sich jeden Tag neu erfinden musste.
Ignacio führte uns den langen Gang an der westlichen Längsseite des Gebäudes entlang, wo er ein Arbeitszimmer hatte. Bobby gefiel die helle Klause. Ignacio und er holten noch mehr Utensilien aus seinem Auto, die auf dem langen Holztisch aufgereiht wurden.
Der Mensch fragte, welches Aussehen mir am besten gefiel, am zweitbesten und so weiter.
„Denke dran, du musst in der Lage sein, überall und jederzeit den Look wieder hinzukriegen.“
Ich wählte, er machte sich Notizen. Wir einigten uns anhand einer imponierend langen Liste auf die wichtigen Daten – Geburtsdatum, Geburtsort, Namen – und damit auf die Art der Dokumente.
Das Männchen legte los. Wir schlossen die Tür von außen zu. „Man kann nicht vorsichtig genug sein, besonders bei Bobby“, grinste Ignacio, der den Schlüssel in seine Kuttentasche steckte.
„Woher kennst du ihn denn?“
Die Dämlichkeit der Frage fiel mir zu spät auf. Das merkte er wohl.
„Natürlich von meinem alten Beruf her. Ich habe Bobby viermal verhaftet, habe drei Verurteilungen erreicht, eine Bewährung und zweimal Knast. Drei Jahre und siebeneinhalb Jährchen. Nach der zweiten Entlassung bin ich in sein Studio marschiert, habe mich hingesetzt und ihm klaren Wein eingeschenkt.
Ich habe ihm gesagt, dass er zwanzig Jahre kassiert, wenn ich ihn noch mal erwische – inzwischen hatten wir in Kalifornien nämlich das Three Strikes Gesetz, das besagt, dass die dritte Zuchthausstrafe ihn zum Berufsverbrecher stempelt und er deshalb je nach Richter bis zu lebenslänglich bekommen kann. Das hat ihm natürlich ordentlich zugesetzt.
Bobby ist ein begnadeter Fälscher, aber sonst hat er nichts gelernt. Also war er ganz schön aufgeschmissen. Entweder lebenslänglich - oder was? Oder er lässt mich ab und zu wissen, wer sich Papiere besorgt und auf welchen Namen. Dann halte ich mein Händchen schützend über seinen genialen Fälscherkopf und ihm passiert nichts, wenn er sich nur aufs Fälschen
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