Geisel der Leidenschaft
neue Angst in ihr auf - ein merkwürdiges Gefühl, das sie nie zuvor verspürt hatte. Plötzlich fand sie diesen Feind gefährlicher als alle anderen.
Sein unheilvoller Blick schürte ihr Entsetzen. Auch ihn mussten die durchnässten und trotzdem erhitzten Körper irritieren. Aber dann verzogen sich seine Lippen zu einem schwachen Lächeln. Ein sonderbarer Glanz verdrängte das Dunkel seiner Augen. Behutsam schob er sie von sich. »Wer weiß, Lady? Wenn Ihr Euch waschen und was Sauberes anziehen wollt - vielleicht kann ich Euch erfreuen.«
Mühsam widerstand sie dem Impuls, ihre Fäuste ein zweites Mal zu heben. Diesen Fehler würde sie nicht mehr begehen. »Lieber nehme ich Euren Vorschlag an und liefere mich der gesamten Besatzung aus.« Wütend strich sie sich die nassen, vom Salzwasser verklebten
Haarsträhnen aus dem Gesicht. Dass sie wie eine ertrunkene Ratte aussah, wusste sie selber.
»Gewiss, das lässt sich arrangieren«, versprach er leichthin.
»Verschwindet!«, fauchte sie.
Höflich verneigte er sich und erinnerte sie: »Ihr habt mich zurückgehalten, Lady!«
»Um Himmels willen, geht endlich und schließt die Tür!«
»Zu Befehl, Lady«, entgegnete er, schloss die Tür hinter sich und schob den Riegel vor.
Sollte sie sich schreiend gegen das Holz werfen? Eine Zeit lang bekämpfte sie diese Versuchung, dann sank sie auf die Koje, die an straff gespannten Seilen hing. Die weiche Federmatratze fühlte sich erstaunlich angenehm an. Aber das vermochte Eleanor nicht zu trösten. Von Erschöpfung und Kummer überwältigt, brach sie in Tränen aus.
Sie träumte. Das wusste sie. Verzweifelt warf sie sich umher und erlebte aufs Neue jene schicksalhaften Ereignisse.
In ihrem Traum kehrte sie nach Clarin zurück. Die Schotten hatten bei Falkirk eine Niederlage erlitten und sie war mit den englischen Truppen geritten.
Auf Castle Clarin hatte der Feind keinen allzu großen Schaden angerichtet. Starke Mauern umgaben den Turm, von einem Burggraben zusätzlich geschützt. Aber die Dorfbewohner, die Pächter, Kaufleute und Handwerker waren den unbarmherzigen Gegnern hilflos ausgeliefert. Eleanor brachte sich nur deshalb in Sicherheit, weil ihre Leute sie dazu gedrängt hatten. Vom Turm aus beobachtete sie, wie die Männer in den Stall außerhalb der Schlossmauern getrieben wurden, wie das Feuer emporloderte. Und sie sah die Schotten mit ihren Schilden Wache stehen. Ihr Vater hatte die Festung mit mehreren Kriegern verlassen. Auf sich allein gestellt, konnte sie das Grauen nicht tatenlos mit ansehen. Sie schickte die Verteidiger auf die Zinnen und befahl ihnen, siedendes Öl auf die Feinde zu schütten und brennende Pfeile hinabzuschießen. Zahlreiche Schotten, deren Kleider glimmten und schwelten, ergriffen die Flucht. Todesmutig rannte Eleanor zum Stall hinaus, dicht gefolgt von der Schlosswache, von Frauen und Kindern. Mit vereinten Kräften zerhackten sie die Mauern des Stalls und retteten die Eingeschlossenen vor dem Flammentod. Dem Befehl ihrer Herrin gehorchend, warfen sie sich wie lebende Fackeln ins Wasser des Burggrabens.
Erstaunlicherweise starben nur sieben Männer. Und doch, welch schmerzlicher Verlust ...
Zur gleichen Zeit wurden die Vasallen des englischen Königs, die in der Nachbarschaft lebten, zum Kampf gegen die Schotten aufgefordert. Diesem Ruf musste auch Eleanor folgen.
Und die Schotten wurden besiegt. Während sie die Männer aus dem brennenden Stall geholt hatte, war ihr Vater getötet worden. Vergeblich hatte er versucht, einen Vorratswagen der Engländer zu schützen. Sein Tod bestärkte Eleanor in ihrem Entschluss: Von jetzt an würde sie eigenhändig gegen den abscheulichen Feind kämpfen.
Nach dem Gesetz würde sie das Erbe des Vaters - das Schloss, die Ländereien und die Pachteinnahmen - nur behalten, wenn sie einen Sohn gebar. Obwohl sie den geliebten Vater verloren hatte, war sie nicht allein. Ihre Verwandten fühlten sich für sie verantwortlich. Kurz vor seinem letzten Atemzug hatte er ihnen das Versprechen abgenommen, für seine Tochter zu sorgen und sie standesgemäß zu verheiraten.
In ihrem Traum sah sie die große Halle von Clarin, im Erdgeschoss des gut geschützten Turms gelegen. Kein drohender Kampf hatte jenen Tag überschattet. Im Kamin brannte ein helles Feuer, an den Wänden hingen neue flämische Gobelins - Geschenke benachbarter Kaufleute - und hielten die feuchte Kälte fern. Die Kämpfe waren beendet. Den Bauern, Geschäftsleuten und Handwerkern ging es
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