Geisel der Leidenschaft
einigermaßen gut. Aber Eleanor trauerte um ihren Vater. Bis an ihr Lebensende würde sie den warmherzigen, gebildeten Mann schmerzlich vermissen. Nach seinem Tod musste sie mehrere Pflichten übernehmen. Sie hieß die Ritter des Königs willkommen, die nach Norden reisten, und ließ die Schäden beheben, die der Krieg im Dorf Clarin angerichtet hatte. Fürsorglich kümmerte sie sich um die Kranken und unterstützte die Kirche in ihren Aufgaben, begrub die Toten und begrüßte jedes neue Leben, das in ihrer Gemeinde geboren wurde.
Unterdessen präsentierten ihr die Vettern illustre, reiche Heiratskandidaten aus England und anderen europäischen Ländern. Wenn der Turm von Clarin auch unversehrt geblieben war - die Familie brauchte dringend Geld für Reparaturarbeiten an der Außenmauer und im Dorf. Zudem mussten die Clarins ständig neue Soldaten ausrüsten, um Edwards endlosen Forderungen nachzukommen.
Zu Eleanors Entsetzen war ein Bewerber widerwärtiger als der andere. Robin of Lancaster, so klein wie ein Zehnjähriger, litt an einer seltenen, abstoßenden Hautkrankheit. Wenigstens benahm er sich manierlich und verfügte über ein gewisses Maß an Bildung. Tibald, Lord of Hexin, würde demnächst den Titel eines Earls erben und hatte ein anziehendes Äußeres. Bedauerlicherweise ertränkte er mit Vorliebe junge Katzen.
Und so wies sie alle Freier ab. Auch der Comte Etienne Gireaux, ein Franzose, fand keine Gnade vor ihren Augen.
Am Morgen nach seiner Abreise, als sie endlich ein bisschen inneren Frieden gefunden hatte, wurde sie von ihrem Vetter Alfred in die Halle bestellt.
»Für dein Zaudern gibt es keine Entschuldigung!«
Erbost wanderte er hinter Eleanors Stuhl auf und ab, dann ergriff er die geschnitzte Rückenlehne, beugte sich hinab und zischte ihr ins Ohr: »Gestern Abend warst du furchtbar unhöflich! Immerhin entstammt Comte Gireaux einer der ältesten und vornehmsten Familien in der ganzen Normandie!«
Die Schultern gestrafft, richtete er sich auf - ein hoch gewachsener, kräftiger Mann, der sein Ansehen nicht nur der edlen Geburt verdankte. Auch auf dem Schlachtfeld hatte er zahlreiche Ruhmeslorbeeren geerntet.
»Die ganze Zeit nahm er nur Rücksicht auf dich, Eleanor«, fügte er hinzu und trat vor den Kamin, in dem orangerote Flammen knisterten. »Gewiss, du hast deinen Vater verloren und wurdest gezwungen, dein Heim zu verteidigen. Aber seit jenem Angriff sind Jahre vergangen. Jetzt bist du kein Kind mehr. Und so eifrig man deinen Mut auch gepriesen hat - mittlerweile glaubt man, irgendein Gebrechen müsste dich behindern, du wärst taub oder verkrüppelt ...«
»So hässlich, dass kein reicher Aristokrat unsere Kusine heiraten will?«, fragte Corbin, der sich in einem Lehnstuhl vor dem Kamin rekelte. Zwei Jahre jünger als Alfred, war er Eleanors einziger Verwandter, der das Leben und die Gesellschaft mit Humor betrachtete. Auch er hatte tapfer für den englischen König gekämpft. Niemals würde man den Clarins aus dem nördlichen York vorwerfen, sie hätten ihre patriotischen Pflichten vernachlässigt. Aber im Gegensatz zu Alfred drängte Corbin die Kusine nicht zu einer Heirat.
Nach seiner Ansicht konnte alles so bleiben, wie es war.
Umso energischer suchte sein Bruder, die Wünsche des verstorbenen Familienoberhaupts zu erfüllen und Eleanor zu vermählen. Sie wusste, ihr Vater würde nicht so hartnäckig auf ihrer Heirat bestehen. Doch das wollte Alfred nicht begreifen.
»Mag der Comte auch reich und angesehen sein ...« Sie betrachtete ihre Hände, die sie im Schoß gefaltet hatte. Dann sprang sie abrupt auf und starrte in Alfreds Augen. »Aber er riecht ganz abscheulich - und -und ...«
»Und er besitzt keinerlei bewundernswerte Qualitäten?«, vollendete Corbin den Satz.
Sein Bruder strafte ihn mit einem vernichtenden Blick. »Eigentlich solltest du mich unterstützen, statt ironische Kommentare abzugeben.«
Grinsend zwinkerte Corbinian seiner Kusine zu. »Wenn sie nicht heiraten will und demzufolge keinen Erben zur Welt bringt, fällt Clarin an dich, lieber Bruder, mit allem Drum und Dran. Deshalb sollte man meinen, du würdest sie in Ruhe lassen.«
»Da hat er völlig Recht, Alfred«, bestätigte Eleanor und lächelte sanft.
Ärgerlich schüttelte Alfred den Kopf. »Es ist meine Pflicht, dich zu verheiraten und dir eine standesgemäße Stellung in der Gesellschaft zu verschaffen. Und du bist verpflichtet, die Linie deines Vaters fortzusetzen. Glaubst du nicht, das wärst
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