Geiseldrama in Dribbdebach (German Edition)
natürlich die in die Annalen eingegangenen Berliner Tunnelräuber ein, die ein paar Geiseln genommen hatten und dann, während die Polizei brav auf weitere Anweisungen wartete, durch einen schon vorher gegrabenen Tunnel das Weite gesucht hatten. Soweit er sich erinnerte, hatte es damals keine Toten gegeben, und die Täter hatte man auch gefaßt. Beruhigend zu wissen. Etwas später weilte er beim Gladbecker Geiseldrama von 1988, dem auch ein Banküberfall vorausgegangen war, und wo sich die Presse mit ihrer Liveberichterstattung in einem diskussionswürdigen Licht präsentiert hatte. Die Erinnerung daran war ob der drei toten Menschen wenig dazu angetan, sein Gemüt zu erhellen. Folglich ließ er von diesem unerquicklichen Thema ab, denn wer wollte schon mit dem Tod konfrontiert werden, sich mit dem Gedanken auseinandersetzen, sein junges Leben in Bälde verwirkt zu haben? Was half es schon, mit dem Schicksal zu hadern?
Draußen war es noch düsterer geworden. Unaufhörlich peitschte der Regen gegen die Scheiben und etliche Blaulichter warfen ihre unruhigen Farbenspiele an die Decke der Schalterhalle. Vielleicht war es ja dem Wetter zuzuschreiben, daß Herr Schweitzer in letzter Zeit trübsinnigen Gedanken nachhing. Allein an Marias Zurechtweisung, er würde klammern, konnte es nicht liegen. So etwas würde er locker wegstecken, prinzipiell war er nämlich ein heiterer Mensch. Und wenn er es recht bedachte, hatte er kaum je eine dermaßen ausgedehnte Schlechtwetterperiode im Rhein-Main-Gebiet erlebt. Es würde ihn nicht wundern, wenn die Selbstmordrate auf Rekordhöhe geklettert war und Deutschland die Finnen von Platz eins verdrängt hatte. Und das im Frühling, wo normalerweise Knospen sprossen und Gigolo sonnenbebrillt im Cabrio aus sicherer Entfernung seinen Balztanz aufführte und extrem mit den Hüften wackelnden, holden Jung- und anderen Frauen hinterhergeiferte. Ja, Herr Schweitzer hatte das Leben durchschaut. Und so konnte er auch damit rechnen, schon in naher Zukunft sein persönliches Tief zu überwinden. Einstweilen jedoch standen die Zeichen auf Sturm, wo man auch hinschaute.
Nach fünf ruhigen Minuten wurde es Uzi, der Punkerin, offenbar zu langweilig und sie fragte Johnny, den Traveller mit dem speckigen Hemdkragen und dem auch ansonsten eher schmuddeligen Outfit, wie’s denn in Vietnam, wo er hinzufliegen gedenke, so sei.
Dieser Fehler wäre dem Herrn Schweitzer nie und nimmer unterlaufen, denn schon nach den ersten Sätzen vorhin war ihm klar, daß es sich bei Johnny um einen Menschen handelte, der sich selbst gerne reden hörte. Und so war es denn auch.
Ohne Luft zu holen preiste der erfahrene Globetrotter die von ihm ausgearbeitete Route abseits touristischer Trampelpfade, wobei Ha Long Bay natürlich trotzdem ein Muß war, er aber einen Alternativplan in petto habe, der die Jedermanns aus Wanne-Eickel umging, indem er und Susi sich in Cat Ba einem Fischer anschließen wollten, dessen Adresse er von einem echt duften Rucksacktravellerkollegen gerade gestern noch unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit zugesteckt bekommen habe. Diese Verschwiegenheit war unbedingt notwendig, quasi ein Ehrenkodex, sonst geht’s da unten ja bald zu wie in dem Film The Beach. Selbstredend war auch ein Abstecher in die Bergwelt im Norden geplant, wobei natürlich ein Zeitplan als solcher nicht existierte. Auf seinen Reisen noch nie existiert hatte. Man wolle sich treiben lassen und der Spontaneität Raum einräumen. Er sei sich ganz sicher, der Trip werde ihn auch diesmal weiterbringen, auch spirituell, obwohl einem Mann mit seiner Erfahrung, was das Reisen anging, kaum noch Neues widerfahre, auch wenn er darum wenig Aufhebens mache.
Auf ähnliche Art wurde noch die alte Kaiserstadt Hue und der Süden mit dem Mekong-Delta abgehandelt, dann erst versiegten des Hardcoretravellers Worte, auf daß den Anwesenden Erleuchtung zuteil worden war. Amen.
So. Uzi hatte ihre Lektion gelernt, diesem Johnny würde sie so schnell keine Fragen mehr stellen, dabei wollte sie lediglich einer Weltanschauung fernab der relativen Sicherheit und der absoluten Langeweile bürgerlichen Lebens eine Chance geben. Na ja, Neugier hatte auch dahinter gesteckt.
„Jetzt lassen Sie mich mal sehen“, sagte Oma Hoffmann unwirsch und nahm der Filialleiterin den Wattebausch aus der Hand, mit dem sie das aus der Nase tropfende Blut stillte. „Ich war früher mal Krankenschwester.“
Etwas später: „Ein Pflaster wäre sehr
Weitere Kostenlose Bücher