Geiseldrama in Dribbdebach (German Edition)
vermeintlicher Schwäche glauben mußte. Kein Gott, keine Liebe, nichts. Hysterie war was für Leute, die ihr Leben nicht gelebt hatten und noch alles vor sich zu haben glaubten. Lediglich den Bankraub als solchen, und die Aufgabe, mit heiler Haut davonzukommen, betrachtete er kalt als Herausforderung, der es sich zu stellen galt. Vielleicht machte diese Nüchternheit ja einen großen Teil seiner Wesensart aus. Darüber später mal intensiver nachzudenken, konnte sich lohnen. Aber auch seine Mitstreiter wiesen nur wenige Anzeichen auf, welche die Gefährdung durch eine Geiselnahme so mit sich bringen. Man wirkte allgemein ruhig und gelassen, und rein gar nichts deutete auf schwere Zeiten hin. Fast konnte man von einem familiären Touch sprechen. Herr Schweitzer war zuversichtlich, was sein weiteres Leben betraf.
Draußen ging Herbert mit seiner Frau Else und seinem Hund Else, die schon seit Jahren nur gemeinsam auftraten, zu seiner Lotterieannahmestelle. Eigentlich wollten sie das Ende des Sturms abwarten, aber ein Ende war nicht in Sicht. Schon von weitem sahen sie die Polizeiautos. Als sie vor dem Absperrgitter standen, sagte Else zu Herbert: „Ei gugge ma da, ein Banküberfall.“ Und der Hund Else schaute auf.
„Na und, soll ich jetzt vielleicht auch ne Bank überfalle?“
„Dummbabbler.“
In der Teutonischen Staatsbank war man damit beschäftigt, die Zeit totzuschlagen. Zumindest bis zum Anruf der Polizei. Dann würde man schon wissen, was Sache ist. Sardonisch hatte Ludger Trinklein seine Ex aufgefordert, doch mal Kaffee für die illustre Runde zu kochen. Oma Hoffmann hatte ihre Kreuzworträtselhefte aus ihrem Wägelchen holen dürfen. Und wer wollte, durfte auf Toilette gehen. Rundum herrschte also Friede, Freude, Eierkuchen, woran der betörende Kaffeeduft nicht unerheblichen Anteil hatte, da dort, wo man zum Kaffee zusammensaß, selten Kriege ausgefochten wurden.
Derart in heimelige Stimmung versetzt, träumte Herr Schweitzer von heute abend, wenn er nach seinem Auftrag als Aushilfsdetektiv betreffs des vermeintlich gehörnten Finanzbuchhalters noch auf ein Gläschen, womöglich auch zwei, bei Bertha im Weinfaß vorbeischaute. Wie er dann mit übertriebener Lässigkeit von der Lappalie seiner Geiselzeit schwadronierte, während man ehrfurchtsvoll an seinen Lippen hing. Vielleicht käme auch seine Liebste vorbei, der dann nichts anderes übrig bliebe als neidlos das seinem Charakter schon seit Urzeiten innewohnende Heroentum anzuerkennen und zugeben mußte, daß er, Simon Schweitzer, ein absoluter Gewinn für die Menschheit war. Und was für ein Massel für Maria, an seiner Seite stehen zu dürfen. Ja, so oder so ähnlich konnte es kommen. Doch erst mal standen dem noch, wie gesagt, der Anruf der Polizei und ein paar weitere Formalitäten im Wege. Noch zwanzig Minuten.
Der froschgrün-fliederviolett quergestreifte Rowenta-Wecker rasselte. Scheinbar teilnahmslos legte der Bankräuber den Hörer auf die Gabel. Sofort klingelte das Telefon.
„Ja ... Schön ... Nein, hier ist keiner verletzt ... Wie? ... Das war eine einfache Frage und ich ... Jetzt hören Sie mir mal zu, ich gebe Ihnen noch zwei Stunden, dann können Sie mir sagen, wie lange ich auf die 35 Millionen zu warten habe. Ist das klar, du kleiner Scheißer? Und wenn wir schon mal dabei sind, ein Fluchtwagen wird auch bereitgestellt und du kannst schon mal anfangen rumzufragen, wer dir Schwachkopf einen Hubschrauber leiht. Den hätte ich nämlich auch ganz gerne. Mit Pilot, versteht sich. Und falls ich in zwei Stunden wieder zu hören bekomme, es wäre nicht so einfach, so viel Geld und so weiter, dann laß dir gesagt sein, ich habe Geiseln und bin bewaffnet und meine Laune sinkt. Kapiert? ... Na also, wir verstehen uns doch ... Ja, um sechzehn Uhr.“
Ludger knallte den Hörer auf die Gabel und legte ihn dann wieder daneben. Nach einem kurzen Blick über die Geiseln stürmte er wie ein Berserker die Treppe rauf, entsicherte währenddessen die Beretta 92 und gab zwei Schüsse auf das obere Flurfenster ab, woraufhin Glasscherben klirrend zu Boden fielen.
O tempora, o mores, sinnierte Herr Schweitzer gerade, als er neben sich Schluchzgeräusche vernahm. Das darf doch nicht wahr sein, dachte er, was ist denn das für eine komische Kultur, wo Männer flennen, während Frauen ihren Mann stehen? Na, von einem Samurai ist dieser Kogyo ja meilenweit entfernt. Peinlich, so was. Da er mit dem, wenn auch lautlosen Geflenne absolut nichts anzufangen
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