Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co
Schneiden der Hirnpräparate nutzte. Hatte das kleine Biedermeier-Mikrotom, das von Gudden 1872 entwarf, noch etwas Rührendes (s. S. 197), sind die fast industriell anmutenden Mikrotome, die Vogt und Brodmann benutzten, Instrumente einer Disziplin, die zur Sache kommen wollte.
war an zwei Seiten stabilisiert, wodurch es von dem Präparat nicht zur Seite gedrückt werden konnte. Dank einer einfallsreichen Kar-danischen Aufhängung konnte man das Gewebe in jedem gewünschten Bereich abschneiden, die Dicke konnte äußerst genau eingestellt und abgelesen werden. Später entwarf Vogt noch ein >Pantomikrotom<, das für 1300 Mark in den Handel kam und mit dem sich Präparate mit einer größeren Oberfläche schneiden ließen. Über das Messer zerbrach er sich am längsten den Kopf: Je schärfer es war, desto schneller wurde es beschädigt, und wenn die Blatthärte auch nur geringste Unregelmäßigkeiten aufwies, entstand beim Eintauchen in Wasser elektrischer Strom, was Rostbildung verursachte, wie man laut Vogt im Labor von Krupp in Essen festgestellt hatte. 13 Wie sich zeigen wird, unterhielt Vogt noch andere Beziehungen zu Krupp.
Hirngewebe kann auf unterschiedlichste Weise kartiert werden, und jede Kartierung führt zu eigenen Karten. Viele der um 1900 zur Verfügung stehenden Karten basierten auf der Aufzeichnung des Verlaufs von Fasern und Nerven. Brodmanns Kartierung beruhte auf der >Zytoarchitektur<, der Struktur, Form und Lage der Zellen. Brodmann nutzte ausschließlich mikroskopische
Untersuchungsmethoden - und nichts anderes. Analysen von Schädigungen, wie sie Broca und Wernicke Vornahmen, oder Exstirpationsversuche wie die von Flourens erwähnte Brodmann nur, um sich von ihnen abzugrenzen. In seiner Lokalisierungstheorie spielten sie überhaupt keine Rolle. Ebenso irrelevant waren für ihn die physiologischen Eigenschaften von Zellen oder Zellgruppen sowie ihre Reaktion auf elektrische Reize. Bestimmte Areale der Hirnrinde als sensorische oder motorische Projektionsgebiete oder als Assoziationsgebiete zu bezeichnen, hielt Brodmann für nahezu verantwortungslos. Er versah die Begriffe konsequent mit Anführungszeichen: Seiner Ansicht nach war es für eine verlässliche Funktionslokalisierung noch viel zu früh. Im Übrigen bestünden, so schrieb er, von Autor zu Autor große Unterschiede, wenn es um die genauen Grenzen all dieser Projektionsgebiete gehe. Erst wenn man Karten der Zytoarchitektur gezeichnet habe, könne man exakt angeben, welche Gebiete mit welchen Funktionen korrespondierten.
In Abschnitten wie diesen spürt man Brodmanns nahezu körperliche Abneigung gegen Ergebnisse, die sich widersprechen, gegen Unterschiede in der Begrifflichkeit, wechselnde Konventionen, Variationen in Schneide-, Präparier- und Färbetechniken -kurzum gegen alles, was die Neurologie noch nicht ordentlich vereinheitlichen und normieren konnte. Schon in den ersten beiden Tabellen wird deutlich, wie sehr sich Brodmann daran störte. Dort führt er nämlich die Schichten auf, aus denen unterschiedlichen Autoren zufolge die Hirnrinde aufgebaut sein soll. Beim Menschen variiert die Anzahl zwischen fünf und neun, bei Tieren zwischen drei und zehn. Für Brodmann eine inakzeptable Vielfalt. Auch die Bezeichnungen unterscheiden sich von Forscher zu Forscher. Dieselben Schichten tragen nicht nur unterschiedliche Namen, sondern es kommt auch vor, dass unterschiedliche Schichten gleich bezeichnet werden. In der Lokalisationstheorie präsentierte Brodmann Forschungsergebnisse, die eindeutig belegen sollten, dass es sechs Schichten gab, sowohl beim Menschen als auch bei allen anderen Säugetieren. Er gab diesen Schichten lateinische Namen, die von den Zelltypen abgeleitet waren, aus denen sie bestanden. Brodmann wollte mit seiner Arbeit mehr als eine Stimme im Chor sein. Er wollte den Ton angeben.
Wo immer es möglich war, strebte Brodmann nach Standardisierung. Die Präparate wurden in Standarddicke geschnitten und dann einer Standardpräparation unterworfen (Fixierung in Formalin, danach ein Paraffinbad) sowie mit einer Standardfärbung (Nissl-Färbung) bearbeitet. Alle Präparate waren senkrecht auf der Oberfläche geschnitten. Das Mikroskop wurde auf eine Standardvergrößerung eingestellt. Auch die Abbildungen der Präparate als >Mikrofotografien< waren standardisiert. Nur auf diesem einheitlichen Hintergrund, so erklärte Brodmann, seien quantitative Vergleiche wie die der Zelldichte und des Zellumfangs möglich. Durch
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