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Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Titel: Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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Ansehen der Kartographie und von den Assoziationen, die mit ihr verbunden waren. Karten ordneten den Raum wie Uhrwerke die Zeit. Sie quantifizierten Verhältnisse und boten zugleich deren Visualisierung. Sie waren die Voraussetzung für Navigation und Orientierung.
    Atlanten sind aus der Medizin im Allgemeinen und der Neurologie im Besonderen nicht mehr wegzudenken. Ein auch außerhalb der Wissenschaft bekannter Atlas ist der Visible Human, ein digitalisierter Anatomie-Atlas mit Querschnitten. Es gibt einen Visible Man und eine Visible Woman. Das Material für den Visible Man stammt von einem zum Tode verurteilten Mörder, der seinen Körper der Wissenschaft zur Verfügung gestellt hatte. Nach der Exekution wurde der Körper in Gelatine gelegt, eingefroren und in zweitausend Scheiben geschnitten. Diese wurden fotografiert, digitalisiert und in einer Computerdatei gespeichert. Schließlich wurden die Schnitte zu dreidimensionalen Darstellungen von Organen und Gelenken verarbeitet. Wie die Visible Woman, für die eine neunundfünfzigjährige Frau aus Maryland ihren Körper stiftete, ist der Visible Man teilweise übers Internet zugänglich. 8
    In den viereinhalb Jahrhunderten zwischen Vesalius und dem Visible Human hat man den menschlichen Körper Tausende Male kartiert und auf Papier projiziert. In der Chronologie der anatomischen Karten kann man dabei gut die Veränderung der Illustrationstechniken erkennen: Holzschnitte in der Zeit von Vesalius, Kupfertafeln im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert, um 1830 entstehen die ersten Holzstiche, 1873 der erste fotografische Atlas, die Iconographie photographique des centres nerveux von Jules Luys, auf den Spezialprozeduren folgten wie Mikroskopaufnahmen, Röntgenbilder und - in jüngster Zeit - Bildtechniken wie die MRT, die Magnetresonanztomographie, und PET-Scans, Positronenemissionstomographie. Aber ganz gleich, auf welche Weise die Bilder gemacht werden, sie erscheinen noch immer in der Form des alten, vertrauten anatomischen Atlasses. Kartographie als Metapher hat eine eigenartige Beharrlichkeit. 9
    DER »ATLAS MAIOR< DER NEUROLOGIE
    Was Blaeu und Mercator für die Geographie bedeuteten, war Korbinian Brodmann für die Neurologie. Erstausgaben seiner 1909 erschienenen Vergleichenden Lokalisationslehre der Großhirnrinde erzielen nicht die Preise, die man für die Karten von Blaeu zu zahlen bereit ist, doch sie sind sehr begehrt. Brodmanns Topographie bestimmt nun seit fast einem Jahrhundert die Navigation auf der Oberfläche des menschlichen Gehirns. Seine Einteilung in 47 Areale wird in groben Zügen noch immer respektiert: Neurologen sprechen von den >Brodmann-Arealen<, die meist mit Kürzeln wie >BA 44< (Brodmann-Areal 44) bezeichnet werden. Brodmanns Erkundungen spielten sich auf einer sehr nahen terra incognita ab, der Welt nämlich, die es noch zu entdecken galt, indem man Hirngewebe aufschnitt und unter das Mikroskop schob.
    Korbinian Brodmann wurde 1868 in Liggersdorf, einem Dorf in der Nähe von Konstanz, geboren. 10 Sein Vater war Bauer. Nach dem Gymnasium studierte er Medizin in München, Würzburg und Berlin und machte 1895 an der Universität von Freiburg im Breisgau seinen Abschluss. Während des Studiums wechselte Brodmann häufig den Ort - und das sollte auch in seinem späteren Leben so bleiben. Er führte - ganz gegen seinen Willen - ein nomadisches Leben, mit einer endlosen Reihe kürzerer Anstellungen, die immer wieder durch Umstände unterbrochen wurden, auf die er selbst keinen Einfluss hatte. Nach seinem Arztexamen zog er nach München, um in einer Kinderambulanz zu arbeiten. Er erkrankte jedoch an Diphterie und suchte Genesung im Fichtelgebirge, wo er dem Neurologen Oskar Vogt begegnete, der in einem Sanatorium für Nervenkranke in Alexanderbad praktizierte. Vogt konnte Brodmann für die Psychiatrie und Neurologie gewinnen und bot ihm eine Assistentenstelle an. Doch Brodmann war der Ansicht, seine Kenntnisse seien nicht ausreichend, um wirklich einen Beitrag in der klinischen Psychologie leisten zu können, und so begann er, in Berlin und Leipzig Psychiatrie und Gehirnanatomie zu studieren. 1898 promovierte er in Leipzig über den Abbau von Nervengewebe.
    Dieses Bild von Korbinian Brodmann druckte Oskar Vogt 1919 bei seinem Nekrolog ab. Es ist die Hälfte eines Doppelporträts mit seiner Frau und muss daher etwa um 1917 aufgenommen sein.

    Unter den fast zehn Anstellungen, die ihn im Laufe der nächsten knapp zwanzig Jahre durch Kliniken,

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