Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Titel: Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
Vom Netzwerk:
Blick, die frühreife Sprache und die Unfähigkeit, mit anderen Kindern zu spielen, aber anders als Fritz, Harro und Ernst konnte er schlecht rechnen. Dagegen fehlte den anderen seine Vorliebe für poetische Ausdrucksweisen.
    Fritz v. 293
    >INTELLIGENZAUTOMATEN<
    Bei den Unterschieden zwischen Fritz, Harro und Ernst handelt es sich nach Asperger um Variationen innerhalb eines gemeinsamen Profils. Dieses Profil hatte er in den vergangenen zehn Jahren bei etwa zweihundert Jungen festgestellt. Ihre Stimmen - um nur ein Beispiel zu nennen - waren mal zu schrill oder zu hoch, mal zu leise oder zu monton, sie klangen jedenfalls abweichend und provozierten an sich schon spöttische Imitationen. Ihre besonderen Fähigkeiten und Interessen gingen sehr auseinander, hatten aber den exotischen Charakter gemein. Eines der Kinder kannte den vollständigen Fahrplan der Wiener Straßenbahnen auswendig, ein anderes konnte Kalenderrechnen. Das Profil ist schon in jungen Jahren vorhanden, wird oft ab dem zweiten Lebensjahr bemerkt und findet bei der weiteren Entwicklung zwar immer wieder einen anderen Ausdruck, wird aber nie wieder verschwinden. Wer das Profil einmal wahrgenommen hat, wird es in Zukunft auf den ersten Blick erkennen, sobald das Kind hereinkommt, sobald es etwas sagt.
    Sie haben ein wenig ältliche Gesichter, diese Kinder, »etwas de-generiert-aristokratisch«. 19 Ihr Blick streift die Dinge nur beiläufig, als würden sie diese mehr mit dem periphären Gesichtsfeld wahrnehmen. »Man kann nie recht sagen, ob der Blick in weite Ferne geht oder nach innen, so wie man nie recht weiß, womit sich die Kinder gerade beschäftigen, was eigentlich in ihnen vorgeht.« 20 Auch ihre geistigen Fähigkeiten zeigen Abweichungen. Bei >nor-malern Kindern entwickelt sich die Intelligenz zwischen zwei Polen: auf der einen Seite die spontanen, originellen Äußerungen, auf der anderen Seite das Nachahmen, das Lernen von anderen. Das Letztere ohne das Erste ist leer und mechanisch. Aber das Erste ohne das Letztere ist ein Handikap: Kinder mit dieser Störung können ausschließlich originell, spontan und impulsiv sein. Sie erfinden neue Wörter, die niemand versteht, entwerfen Welten, die nur sie selbst kennen. Wissensübertragung auf dem normalen Weg des Lernens ist ausgeschlossen. In der Kombination von Originalität und Nicht-lernen-Können verbirgt sich nach
    Asperger schon ein möglicher Konflikt zwischen Eltern und Lehrern. Die Eltern sehen das Überraschende und Spontane in den Äußerungen ihres Kindes, die Lehrer merken, dass das Kind nicht zu unterweisen ist. Asperger bittet den Leser, auch die Vorteile dieses Handicaps zu sehen. Der Kern der Störung ist der nicht vorhandene Kontakt mit dem Umfeld. Aber gerade dieses Fehlen sorgt für die Distanz, die Abstraktion ermöglicht. Im günstigsten Fall kann das zu großen wissenschaftlichen Leistungen führen.
    Das Profil verweist nach Asperger auf »beträchtliche Störungen in den Tiefenschichten der Persönlichkeit«. 21 Die Kinder sind vollkommen egozentrisch. Sie haben keinerlei Respekt vor dem Anderen, nicht als bewusste Frechheit, sondern als eine Störung im Verstehen der anderen Person. Sie haben kein Gefühl für soziale Distanz. Menschen werden berührt wie Möbelstücke. Bekannt oder unbekannt, jung oder alt, es gibt keinen einzigen Unterschied in ihren Begegnungen mit anderen. Was man ihnen in sozialer Hinsicht beibringen will, muss explizit angelernt werden. Nur über den Weg des Verstandes können sich diese »Intelligenzautomaten« etwas aneignen. 22
    Auch ihr Umgang mit Dingen ist anders. >Normale< Kinder sind in der Lage, Gegenstände in ihrem Spiel zu beseelen: Puppen werden zu Spielkameraden. Kinder mit Autismus bemerken diese Gegenstände entweder gar nicht oder sie machen eine Art Fetisch daraus, etwa ein Holzklötzchen, das sie immer bei sich tragen. Manchmal klammern sie sich obsessiv an ein lebendiges Wesen: Einer der Jungen hatte zwei weiße Mäuse, die er mit rührender Hingabe versorgte, während er seine Eltern mit seinen Schikanen außer sich bringen konnte.
    ln Bezug auf die eventuelle Erblichkeit wagte Asperger keine definitiven Aussagen zu machen. Dafür seien umfangreiche genealogische Studien notwendig. Aber bei jedem Fall, bei dem er Eltern oder Verwandte kennen gelernt habe, seien ihm psychopa-thologische Züge aufgefalien. Oft handelte es sich um Kinder aus einer prominenten Künstler- oder Gelehrtenfamilie, die von der ursprünglichen Begabung

Weitere Kostenlose Bücher