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Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Titel: Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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innerhalb des Autismus-Spek-trums abzugrenzen und sie fortan >Asperger-Syndrom< zu nennen. 5 In den vergangenen fünfzehn, zwanzig Jahren wiederholte sich mit dem Asperger-Syndrom, was in den Fünfzigerjahren mit Kanners Autismus geschehen war: Einmal benannt und umschrieben, tauchte die Störung zunehmend häufiger auf. Zur Illustration dieser Explosion: Wer jetzt (im Juli 2007) >Asperger-Syn-drome< in die Suchmaschine Google eingibt, erhält etwa 1870 000 Treffer, im August 2004 waren es noch 183 000.
    Hans Asperger wurde 1906 geboren. 5 Er wuchs in Wien auf, wo er auch sein Medizinstudium abschloss. Seine Spezialisierung auf Kinderheilkunde führte ihn an die 1918 gegründete Wiener Universitäts-Kinderklinik. Diese Klinik konzentrierte sich auf >Heil-pädagogik<, einen Ansatz, bei dem Kinder mit einer Kombination aus Medizin, Pädogogik und Psychotherapie behandelt wurden. 1932, ein Jahr nach seiner Promotion, kam Asperger als Assistenzarzt an die Klinik. Er wusste damals schon, dass er im Studium und in der Behandlung »schwieriger Kinder«, wie er sie meist bezeichnte, seine Erfüllung finden würde. Mit einigen kurzen Unterbrechungen blieb er immer der Wiener Kinderklinik verbunden. Nach dem Krieg wurde er zum Professor der Pädiatrie ernannt und sollte diesen Lehrstuhl zwanzig Jahre innehaben.
    Asperger widmete seine Habilitationsschrift dem Syndrom, das nun seinen Namen trägt. Der Text erschien 1944. 7 In den rund zehn Jahren, die diese Studien in Anspruch genommen hatten, hatte Asperger gut zweihundert Kinder beobachtet. Die Störung war ihm schon aufgefallen, als er selbst als Junge in den Ferien an Sommerlagern teilgenommen hatte: Immer schien es ein paar Jungen zu geben, die sich der Gruppe nicht anschließen konnten und in Panik gerieten, wenn sie dazu gezwungen wurden.
    Asperger (links) und sein Team testen Kinder in der Pädiatrischen Klinik der Wiener Universität.

    Die Einleitung des Textes liest sich wie ein methodologisches Glaubensbekenntnis. Asperger scheint vor allem von der Gestaltpsychologie fasziniert gewesen zu sein: Ein Mensch ist nicht die Summe seiner Teile, sondern ein Organismus, in dem alle Eigenschaften miteinander verbunden sind. Individuum, schreibt er, bedeute nicht umsonst: >unteilbar<. Das hauptsächliche Instrument sei nicht die Messung oder das Experiment, sondern die Beobachtung. Der Arzt müsse seiner Intuition folgen, seinen Eindrücken, er müsse die Gestalt eines Individuums auf sich wirken lassen: Bau, Körperhaltung, Augenaufschlag, Mimik, Motorik, Intonation. Die Kunst sei, dem »Zusammenklang« einer Person zu lauschen. 8 Asperger misstraute einer strikten und mechanischen Anwendung von Typologien, psychologischen Tests und künstlichen diagnostischen Situationen. Selbst bei einer dem Anschein nach exakt messbaren Eigenschaft wie Intelligenz ist ihm zufolge nicht so sehr das erzielte Ergebnis eines Intelligenztests wichtig, sondern eher das, was dieses Testen über Vorgehensweisen, Interessen und Originalität des Kindes erzählt. Intelligenz ist nur einer der Fäden, aus denen eine Person gewebt ist. Ihre Farbe erhält sie durch die anderen Fäden.
    Aber manchmal verrät das Webmuster eine Störung. Das ist der Fall bei einem Typ Kind, das Asperger als »autistischen Psychopathen« bezeichnet - ein Begriff, der sich nicht mehr verwenden lässt, weil man heute unter >Psychopath< eine andere psychiatrische Störung versteht. 9 Asperger wollte damit eher auf eine Art Geistesstörung hinweisen. Kern der Abweichung ist der >Au-tismus<, von autos, >selbst<, das In-der-eigenen-Welt-eingeschlos-sen-Bleiben, der fehlende Kontakt zum sozialen Umfeld. Kinder mit dieser Störung geraten in große Schwierigkeiten: mit ihren Eltern, mit ihren Lehrern, mit sich selbst. Sie weichen so sehr vom Durchschnittskind ab, dass sie eine spezielle pädagogische Behandlung brauchen, um ihren Platz in der Gesellschaft zu finden.
    FRITZ V.
    Das Herzstück von Aspergers Bericht bilden die vier Fallbeschreibungen, die er darin aufgenommen hat. Die erste ist auch die ausführlichste: Fritz V., geboren 1933, unter Beobachtung seit seinem sechsten Lebensjahr. Fritz war das älteste Kind zu Hause. Seine motorische Entwicklung verlief etwas langsamer als normal, seine Sprache dagegen war frühreif, er sprach bald »wie ein Alter«. 10 Für die Schule war er vollkommen ungeeignet. Er führte keinen einzigen Auftrag aus, hielt alles fest und demolierte es dann und schlug mit Gegenständen, ohne sich

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