Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co
kaum möglich: Er erschien 1926. Chronologisch gesprochen war die Störung, die Asperger 1944 »entdecktem also eine Wiederentdeckung.
Die meisten Entdeckungen von Namensgebern sind Wiederentdeckungen, entdeckte ich - nicht als Erster. Denn auch das erwies sich als bereits entdeckt und sogar in einem Eponym verewigt, in >Stiglers Gesetz<, nach dem Statistiker, der dieses Phänomen 1980 wiederentdeckte. 8 Die offizielle Formulierung des Gesetzes ist sogar noch strenger und besagt, dass keine einzige wissenschaftliche Entdeckung nach ihrem ursprünglichen Entdecker benannt ist. 9 Stigler wollte nicht so weit gehen, zu behaupten, Eponyme würden einfach so verteilt, aber Eponyme, so meinte er, würden selten den Menschen zugewiesen, die nicht zumindest einiges an Arbeit verrichtet hätten, die indirekt mit der Entdeckung zu tun habe. Als Mittel, um die Person zu finden, die wirklich der erste Entdecker war, eigneten sich Eponyme jedenfalls nicht.
Stiglers Gesetz ist grundsätzlich unwiderlegbar. Bei jedem Eponym, das man als Gegenbeispiel anführt, kann irgendwann noch ein früherer Entdecker entdeckt werden. Ewa Ssucharewa zum Beispiel wurde erst 1995 entdeckt - oder wiederentdeckt -von der schottischen Psychiaterin Sula Wolff. 10 Bestätigungen für Stiglers Gesetz gibt es in Hülle und Fülle, auch bei den Eponymen, die in diesem Buch vorgestellt wurden. Manchmal wiesen Namensgeber selbst schon auf Vorgänger hin. Bei der Präsentation des Gehirns von >Monsieur Tan< berichtete Broca, dass die Verletzung des Stirnlappens die Theorie von Bouillaud zu bestätigen schien. Alzheimer schrieb 1911, sein Kollege Redlich habe bereits 1898 Plaques im Hirn seniler Patienten gefunden. Korsakow verwies auf den schwedischen Arzt Magnus Huss, der ein halbes Jahrhundert vor ihm über Gedächtnisstörungen als Folge von Alkoholismus geschrieben hatte. Jackson selbst nannte die Epilepsie, die nun seinen Namen trägt, >Bravaise Epilepsie<, nach dem Franzosen, der diese Variante 1827 beschrieben hatte. Gilles de la Tou-rette nahm 1885 in seinen eigenen Artikel die vollständige Fallbeschreibung der Marquise von Dampierre auf, die Jean Marc Itard 1825 publiziert hatte. Aber meist tauchen die früheren Entdecker erst nach der Arbeit der Namensgeber - und durch sie - auf. Namensgeber mögen daher oft nicht die ursprünglichen Entdecken sein, wie Stigler sie nennt, doch historisch gesehen war es ihr Beitrag, der ein neues Untersuchungsfeld eröffnete, wo andere, meist Kollegen und Wissenschaftshistoriker, auf ihrem eigenen beschränkten Niveau selbst etwas entdecken können, nämlich: »Vorgänger«.
Vorläufer, Vorgänger und »ursprüngliche Entdecken bewegen sich entgegen der Chronologie: Sie kommen nach den Namensgebern. Ohne den Namensgeber hätte niemand je von ihnen gehört, ihre Arbeit würde noch immer in den papierenen Gräbern alter Jahrgänge und Archive ruhen. Wer hätte je von Vater und Sohn Dax gehört, wenn Broca sie 1865 nicht selbst in seinem Artikel erwähnt hätte? Es gibt keinen Zweifel, dass die Gedächtnisstörung, die Robert Lawson, Arzt am Lunatic Hospital in Exeter, 1878 beschrieb, mit dem heutigen Korsakow-Syndrom übereinstimmt. Aber ohne Sergej Korsakow wäre Lawson vergessen. Lawson brauchte Korsakow, nicht umgekehrt. Nachdem Joseph Capgras 1923 sein Syndrom der Doppelgänger identifizierte, zeigte sich, dass Clifford Beers schon in seiner Autobiographie von 1908 über diesen Wahn berichtet hatte, und später entdeckten Psychiatriehistoriker einen noch viel älteren Vorgänger in Gestalt des deutschen Psychiaters Kahlbaum (1866). Tatsächlich ist die Entdeckung von Vorgängern ein Spezialfall des allgemeinen Gesetzes: Sobald man von jemandem auf etwas Besonderes hingewiesen wurde, etwas, was man bis dahin überhaupt nicht bemerkt hatte, ist es nicht mehr so schwierig, andere Beispiele dafür zu finden. Im Werk von Lawson und Kahlbaum ist so gesehen nicht etwas »entdeckt«, sondern erkannt worden.
Nicht nur die Vorgänger der Namensgeber bewegen sich entgegen der Zeitrichtung. Für die Namensgeber gilt dasselbe. Was als die »Entdeckung« von Broca, Alzheimer oder Korsakow gilt, wird von dem bestimmt, was nach dieser Entdeckung geschieht. Diese Umkehrung ist schon in den Fallstudien nachzuweisen, welche die Namensgeber selbst veröffentlichten. 1760 beschrieb Bonnet die Bilder seines Großvaters. 1944 publizierte Asperger über seine »schwierigen Kinder«. In diesen fast zweihundert Jahren haben sich die
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