Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Titel: Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
Vom Netzwerk:
Wissenschaften von Gehirn und Geist bis zur Unkenntlichkeit verändert, aber es blieb dabei, dass Bonnet, Asperger und alle Namensgeber dazwischen sich der Fallbeschreibungen und Krankengeschichten bedienten. Manchmal betraf dies einen einzigen Fall. Bei Bonnet war dieser eine Fall nicht mehr als eine beiläufige Beobachtung. Andere Namensgeber veröffentlichten zunächst ebenfalls nur anhand einer einzigen Krankengeschichte, aber mit der Absicht, später ähnliche Fälle zu beschreiben. Brocas »Monsieur Tan< aus dem Jahr 1861 folgten noch im selben Jahr Le-long und innerhalb von zwei Jahren sechs weitere, namenlos gebliebene Fälle. Alzheimer präsentierte 1906 Auguste D., ging aber selbst aktiv auf die Suche nach neuen Fällen und fand nach einiger Zeit Johann Feigl. Auch Clerambault (Lea-Anna B.) und Capgras (»Mathilde de Rio-Branco<) führten individuelle Patienten vor, veröffentlichten in den Jahren danach aber neue Fälle. Parkinson, Hughlings Jackson, Korsakow, Gilles de la Tourette und Asperger beschrieben gleich mehrere Fälle, auch wenn sie oft ein oder zwei Patienten wählten, die sie ausführlich beschrieben. Die übrigen Fälle sollten eher demonstrieren, dass es noch mehr Beispiele für diesen Prototyp gab. Die Darstellung nur eines einzigen Patienten ist also eine Ausnahme, und bei der Zuerkennung des Eponyms lagen immer mehrere Fälle vor. De Morsier fügte 1936 dem Großvater Bonnets seine eigenen Patienten hinzu. Charcot hatte einen Saal voller zitternder Frauen in der Vorlesung versammelt, in der er die >Paralysie agitante< in die Parkinson-Krankheit umtaufte. Damasio sah in seiner Praxis selbst neue Beispiele der >Gage-Matrix<. Jolly hatte in der Berliner Charite denselben Patiententypus aufgenommen, den Korsakow beschrieb. Die Syndrome von Capgras und Clerambault erhielten ihren Namen erst, nachdem mehrere Fälle beschrieben worden waren. Wing sammelte mehrere Fälle von Kindern, die dieselben Symptome aufwiesen, die Asperger beschrieben hatte, und fügte ihre Fallbeschreibung >des Kartographen« hinzu. Kurzum, der oder die >Erste< war dies nur dank der Fälle, die danach folgten. Erst Johann Feigl machte Auguste zur >ersten Alzheimer-Patientin<.
    DAS STATISTISCHE UNIVERSUM
    Der heutige Mediziner lebt in einem »statistischen Universum«, wie es Meulenberg und Oderwald genannt haben. 11 Das gilt auch für die Wissenschaftler, die sich im vergangenen halben Jahrhundert mit den eponymischen Störungen beschäftigt haben. Bonnet beschrieb einen einzigen Fall; Teunisse untersuchte für seine Dissertation sechzig Sehbehinderte, die Bonnet-Bilder sahen. Parkinson nannte sechs Fälle, darunter einen, den er auf der gegenüberliegenden Straßenseite mit seinem Diener hatte vorbeischlurfen sehen; die moderne Erforschung der Parkinson-Krankheit kombiniert die Daten Tausender von Patienten. Broca berichtete zwischen 1861 und 1865 über individuelle Fälle von Aphasie und linksseitigen Hirnschädigungen (und hatte dabei das Glück, dass die Fälle von rechtsseitigen Schädigungen und Aphasie erst auftraten, als die Regelmäßigkeit schon zum >Gesetz< geworden war und die Schädigungen rechts dadurch zu >Ausnahmen< wurden); die Untersuchung Conrads zur >Spiegelbildtheorie<, nach der das Sprachzentrum gegenüber der bevorzugten Hand liegt, erfolgte unter 800 Soldaten mit Hirnschädigungen. Hughlings Jackson beschrieb ausführlich das Verhalten und Erleben von >Dr. Z.< während dessen >dreamy state<; die heutige Erforschung dieses Phänomens bedient sich großer Gruppen von epileptischen Patienten, um den Zusammenhang zwischen Alter, Medikamenteneinnahme, Epilepsietyp, betroffenen Hirnbereichen und noch unzähligen weiteren Faktoren aufzuspüren. Diese Aufnahme ins statistische Universum gilt auch für die Krankheiten Parkinson und Alzheimer sowie für die Syndrome von Gilles de la Tourette, Capgras, Clerambault und Asperger. Was bei diesen Leiden inzwischen bekannt ist über Risikofaktoren, Geschlechterverteilung, Zusammenhang mit anderen Krankheiten, erblichen Faktoren, Verlauf und Prognose, wurde in statistischen Analysen gesammelt.
    Fallstudien und Krankengeschichten spielen im statistischen Universum höchstens noch in Meta-Analysen eine Rolle, in denen eine ganze Folge von Fallstudien zusammengefasst wird. Beobachtungen wie die Bonnets, Parkinsons oder Clerambaults würden heute als >Kasuistik< abgetan oder, noch schlimmer, als »anekdotische Evidenz<. Wer sich Korsakows Krankengeschichte des

Weitere Kostenlose Bücher