Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co
Unter den 1 870000 Google-Treffern für das >Asperger-Syndrome< findet man Autobiographien von Menschen mit Asperger, Selbsttests, Selbsthilfegruppen, Therapien, Bücher für Lehrer, die mit Asper-ger-Kindern zu tun haben, Diskussionsgruppen, Erziehungstipps.
Wie sehr spezialistisches Wissen über die Hintergründe und die Diagnostik von Autismus mittlerweile seinen Weg zu einem größeren Publikum findet, zeigt sich in einem Abschnitt aus dem bereits genannten Buch Snpergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone. Es geht um einen Test, dem sich Christopher in seiner Schule für Lernbehinderte unterzieht. Seine Lehrerin Julie setzt sich neben ihn. Sie legt eine Schachtel Smarties neben ihn und fragt ihn, was sich seiner Ansicht nach darin befinde. »Smarties«, sagt Christopher. Da öffnet sie den Deckel, dreht die Smarties-Rolle um und entnimmt ihr einen roten Farbstift. Sie steckt ihn wieder in die Rolle zurück, verschließt sie und fragt Christopher: »Wenn jetzt deine Mami hereinkäme und wir sie fragen würden, was in der Smarties-Rolle ist, was glaubst du, würde sie antworten?« »Ein Stift«, sagt Christophen 44 Bei diesem Versuch handelt es sich um eine Standardsituation aus theory of mind-Tests. Er ist nahezu wörtlich aus einer Anleitung für den Umgang mit autistischen Kindern entnommen. 45
Es gibt ein Detail in den theory of mind -Tests von Baron-Cohen, das die Tragik des Asperger-Syndroms deutlich zum Ausdruck bringt. Es gibt zwei Puppen, Sam und Kate. Beide hätten sie gern einen Keks, sagt der Prüfungsleiter, aber leider bekommt nur Sam einen Keks von seiner Mutter, Kates Mutter ist nicht zu Hause. Es ist natürlich alles nur >als ob<, Sam bekommt nicht wirklich einen Keks. Fünfjährige Kinder und Kinder mit dem Down-Syndrom finden das traurig für Kate, jetzt hat sie keinen Keks und Sam hat einen. Die autistischen Kinder zeigen kein einziges Anzeichen von Mitleid. Warum sollten sie auch: In ihrer wortwörtlichen Welt sitzen dort einfach zwei Puppen, die beide keinen Keks haben. Wenn Ihnen diese Kinder zu Herzen gehen, ist bei Ihnen intakt, was diesen Kindern fehlt.
DIE KARDANRINGE DER WISSENSCHAFT
1875 wurde Jean-Martin Charcot fünfzig. In den zehn Jahren davor hatte er sich in La Salpetriere vor allem mit Alterskrankheiten und Erkrankungen des Nervensystems beschäftigt. Sein Ruf war bereits gefestigt. Als Erster hatte Charcot zwischen Multipler Sklerose und der Parkinson-Krankheit unterschieden, die Krankheit >amyotrophe Lateralsklerose< identifiziert (ALS, auch: >die Char-cot-Krankheit<, eine schnelle Athrophie von Muskelgewebe) und den >Charcot-Fuß< beschrieben, eine plötzliche Auflösung von Fußknöchelchen infolge von Nervenschäden. 1 Die meisten der unzähligen Eponyme, in denen Charcots Name vorkommt, verweisen auf seine Arbeit in der Neurologie. Seit 1872 war er Mitglied der Academie de Medecine, aber die ehrenvolle Mitgliedschaft in der Academie des Sciences stand noch aus. Vieles, was später die Erinnerung an Charcot bestimmen sollte - seine Erforschung der Hysterie, die halböffentlichen Leqons du Mardi, die theatralischen Hypnosedemonstrationen -, datiert aus der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre. 1875 war Charcot in erster Linie Neuro-Pathologe.
Wie einige andere Ärzte seiner Generation konnte Charcot hervorragend zeichnen. Viele seiner Skizzen sind erhalten geblieben. Auch seine Studenten ermutigte er, ihr Zeichentalent zu entwickeln. 2 Zeichnen hatte einen Bildungswert, fand er, man lernte zu beobachten und auf Details zu achten. Einige Doktoranden haben ihre Dissertationen eigenhändig illustriert. Charcot selbst
310 Die Kardanringe der Wissenschaft wurde ebenfalls häufig abgebildet. 1875 machte Brissaud, damals noch Student, heimlich während einer Anatomievorlesung eine Skizze von Charcot. Einer der Ärzte erwischte ihn dabei, konfiszierte die Zeichnung und zeigte sie Charcot. Brissaud muss kurz den Atem angehalten haben. Die Szene ist von überwältigender Schlichtheit. Charcot hält ein Gehirn in den Händen und zeigt seinen Studenten etwas, was sich offensichtlich an der Unterseite befindet. Wäre da nicht der Zylinder auf seinem Kopf, könnte man denken, es handle sich um die Abbildung eines Metzgers, der einem Kunden etwas vorhält und sich gleich die Hände an der Schürze abwischen wird. Charcot ließ die Skizze rahmen. Vielleicht hat der Zeichner gesehen, was der andere ausdrücken wollte: die Konzentration, die harte Arbeit, ein Organ, das
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