Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Titel: Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
Vom Netzwerk:
von Mund- und Zungenmuskeln falle es ihm schwer, Speichel und Nahrung im Mund zu halten. Er könne nur noch gehen, wenn jemand vor ihm stehe, der Gegendruck biete, indem er gegen seine Schultern drücke. Seine Worte seien kaum mehr zu verstehen. Das Zittern werde so stark, dass nicht nur die Bettvorhänge, sondern auch der Fußboden und die Fenster mitbebten. Das Kinn ruhe nun fast unverrückbar auf der Brust. In der letzten Phase verliere der Patient jegliche Kontrolle über seine Muskeln und »am Ende kündigt konstante Müdigkeit, verbunden mit leichtem Delirium und anderen Anzeichen extremer Erschöpfung die ersehnte Befreiung an«. 17
    Das Zittern und die Neigung, vom Gehen in den Laufschritt zu verfallen, seien, so Parkinson, von früheren Medizinern als Symptome unterschiedlicher Krankheiten verstanden worden. Zu Unrecht, meinte er, denn bei dem wirklichen >shaking palsy< trete der Tremor im Ruhezustand auf, während ein Tremor infolge von Erschöpfung oder Alkoholmissbrauch gerade im aktiven Zustand erscheine. Außerdem unterscheide sich die unwillkürliche Beschleunigung beim Gehen von den zwanghaften Bewegungen beim Veitstanz, einer Krankheit, die in der Jugend einsetze, während die >shaking palsy< gerade erst bei älteren Menschen auftrete. Mit diesen Feststellungen hatte Parkinson die Krankheit umschrieben und zugleich von anderen abgegrenzt. Über die Ursache oder den genauen Ort des Leidens konnte er jedoch nur Vermutungen anstellen: Dass die Krankheit in unterschiedlichen Gliedmaßen oder dem Kopf beginnen könne und das Zittern manchmal aussetze, lasse - so Parkinson - den Schluss zu, dass das Zentrum nicht in den Nerven liege oder an den jeweiligen Stellen, wo der Tremor auftrete, sondern weiter oben im Nervensystem. Das Gehirn allerdings schloss Parkinson aus, weil sonst auch die Sinnesorgane und der Verstand beeinträchtigt würden. Und so landete Parkinson schließlich an der obersten Stelle des Rückenmarks, gleich unter dem Gehirn: dem verlängerten Mark oder der Me-dulla oblongata, wo das Rückenmark am beweglichsten ist und am leichtesten verwundbar. Da keiner seiner Fälle sich an eine plötzliche Verletzung erinnern konnte, dachte Parkinson eher an eine langsam verlaufende Entzündung oder ein Abklemmen der Nerven an jener Stelle. Ganz gleich, was genau für die Beeinträchtigung verantwortlich war, irgendwie musste die Steuerungsfunktion des Gehirns gestört worden sein. Mit der Lokalisierung war zugleich auch die Stelle bestimmt, an der man mit dem ganzen Arsenal der traditionellen Heilkunst aufwarten konnte: Aderlass am oberen Hals, Blutsauger, Eiterentnahme aus absichtlich zugefügten Blasen und Wunden. Von stärkenden Medikamenten versprach sich Parkinson nicht viel. Seiner Ansicht nach lag die Ursache nicht in einer allgemeinen Schwächung des Körpers. Bei einer Krankheit, so Parkinson, die so träge und schleichend verlaufe, dass sie jahrelang unbehandelt bleibe, müsse man zufrieden sein, wenn das Fortschreiten gebremst werden könne. Die Umkehrung des Krankheitsprozesses verlange genauere Kenntnis der Ursachen. Bei der Suche nach Heilungsmöglichkeiten sei es in gewissem Maße auch bedauerlich, so erklärte er weiter, dass die Krankheit nur selten vor dem fünfzigsten Lebensjahr auftrete: Patient und Arzt deuteten die Beschwerden in der Regel als natürlichen Prozess von Alterung und Verfall.
    Die letzten Zeilen seines Essay widmet Parkinson, ja er weiht sie fast schon seinen Kollegen der pathologischen Anatomie: Sollte man jemals die Ursache der >shaking palsy< und damit eine Behandlungsmethode finden, so werde das bestimmt auf der Grundlage ihrer Untersuchungen geschehen. Die Öffentlichkeit sei sich nicht ausreichend der Tatsache bewusst, wie viel sie der Arbeit zu verdanken habe, die diese aus Pflicht und Hingabe leisteten
    Charles Dickens ließ A tale of two cities zum Teil in London spielen, während des letzten Jahrzehnts des achtzehnten Jahrhunderts, zu der Zeit, als Parkinson seine Praxis führte und Ärzte für ihre anatomische Arbeit noch von body snatchers abhängig waren. Dickens stellt zwei von ihnen vor, die Herren Cruncher, Vater und Sohn, tagsüber als Kuriere im Dienst einer Bank, nachts auf dem Friedhof aktiv. Als Dickens seinen Roman schrieb (1859), hatte der Anatomy Act der Leichenraubpraxis schon ein Ende bereitet.

    - unter oft unangenehmen und widerwärtigen Umständen.
    Das war ein mutiger Schluss - gerade in jener Zeit, denn Anatomen hatten keinen guten

Weitere Kostenlose Bücher