Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co
hinzuzufügen, wie ein Abschnitt aus einer klinischen Vorlesung von John Elliot-son aus dem Jahr 1830 illustriert: »Die beste Beschreibung, die mir unter die Augen gekommen ist, stammt von einem bereits verstorbenen Hausarzt namens Parkinson, einem äußerst beachtenswerten Mann, der 1817 zu diesem Thema einen Artikel veröffentlicht hat, dem ich nahezu alles entnommen habe, was ich über dieses Leiden weiß.« 19 Noch etwa ein halbes Jahrhundert später
finden sich Verweise dieser Art in der englischen medizinischen Fachliteratur. So erklärt 1863 der Arzt David Maclachlan in einem Buch über Alterskrankheiten, Parkinson habe Symptome und Verlauf genau beschrieben und sein Essay sei noch immer die beste Arbeit zu dieser Krankheit. In der Zwischenzeit war in Wien 1860 die erste Autopsie an einem Patienten mit >shaking palsy< vorgenommen worden. 20 Johann von Oppolzer, Professor für Medizin, hatte an einem zweiundsiebzigjährigen Mann, der den charakteristischen Tremor zeigte, eine Posf-morfem-Untersuchung vorgenommen. Von Oppolzer entdeckte im verlängerten Mark -an der Stelle, wo Parkinson die Ursache vermutete - übermäßig viel Bindegewebe, das möglicherweise die Nerven abklemmte. Dieser Befund weckte in Paris das Interesse von Jean-Martin Charcot, der mit seinem Kollegen Vulpian 1861 einige Artikel dazu veröffentlichte. 21
Charcot sollte in seiner Karriere wiederholt auf die Krankheit zurückkommen, die damals noch unter dem Namen >paralysie agitante< bekannt war. 22 Als Arzt in La Salpetriere musste er nicht lange nach Patienten suchen oder sie gar auf der Straße observieren, sie präsentierten sich sozusagen von selbst: Auf der Liste der Aufnahmegründe rangierte die >paralysie agitante< auf Platz fünf. Als sich Charcot 1868 in einer seiner Vorlesungen - der Cin-cjuieme leqon - der Krankheit widmete, führte er den Herren triumphal die große Zahl zitternder Frauen vor, die er zu diesem Anlass in seinen Sälen versammelt hatte. »Mit dieser großen Zahl von Patienten, die an ein und derselben Krankheit leiden, verfolge ich eine bestimmte Absicht. Ich möchte, dass Sie mit Hilfe vergleichender Untersuchungen bestimmte Nuancen oder gar Unterschiede erkennen, die bei der Beobachtung von Einzelfällen nicht so schnell ins Auge springen würden.« 23 Im Gegensatz zu Parkinson konnte Charcot die unterschiedlichen Stadien der Krankheit gleichzeitig demonstrieren. Was ihn mit Par-
Charakteristische Handhaltung bei der Parkinson-Krankheit: Der »Stiftgriff«.
kinson verband, war sein Blick fürs Detail. Die Hand der Patienten, so erklärte er, habe eine charakteristische Haltung, mit gestreckten Daumen und Fingern, als könne man einen Federhalter hineinschieben. Beim Zittern »bewegt sich der Daumen über die Finger, als werde ein Stück Kreide oder ein Papierkügelchen dazwischen gerollt«. 24 Bei anderen Patienten bewegten sich die Finger, als zerkrümelten sie Brot. Er machte auf die Handschrift aufmerksam, die immer kleiner wurde. Als Beispiel für diese >mi-crografia< wurde die Unterschrift von »Catherine Metzger, 13. Oktober 1864« in den Bericht aufgenommen: zittrig, unsicher, kaum leserlich. 25 Charcot beschrieb auch die Verzögerung in allen Bewegungen, die »erhebliche Zeit«, die zwischen Gedanken und Handlung vergeht, und welche Mühe es die Patienten kostet, wieder anzuhalten, wenn sie einmal in Bewegung gekommen sind, »gezwungen wie sie sind, im Laufschritt den Gleichgewichtspunkt zu verfolgen, der ihnen entwischt«. 26 Dieser schlurfende Laufschritt war nicht die Folge der gebeugten Haltung. Charcot hatte nämlich auch das seltsame Symptom der Retropulsion entdeckt, der unbezähmbaren Neigung, beim Rückwärtsgehen stets schneller zu werden, auch dies vornüber gebeugt. In einer Anmerkung ist zu lesen, wie Charcot auch dieses Phänomen demonstrierte 27 : Er bat eine Patientin, sich hinzustellen, und zog sie mit einem kleinen Ruck am Rock nach hinten. Sie begann rückwärts zu gehen, immer schneller, in einem Laufschritt, der gefährlich war, sofern man keine Vorsichtsmaßnahmen traf. Zum Tremor meinte Charcot, er verschlimmere sich unter starken Emotionen und setze nur im Schlaf oder unter Narkose aus. Die Gesichtsmuskeln seien unbeweglich, wodurch ein starrender, ausdruckloser Blick entstehe. Die Sprache sei langsam, es koste immer mehr Anstrengung, deutlich zu sprechen. Der Patient spreche zudem sehr unsicher und holprig, »wie jemand, der noch nicht richtig reiten kann, aber auf einem
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