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Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Titel: Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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Ruf. Seit Jahrhunderten klagten sie darüber, dass ihnen nicht genügend Leichen zur Verfügung standen. 18 In England wurde seit der Regierungszeit Henrys VIII. ein kleines Kontingent an Leichnamen zur Verfügung gestellt, meist die Körper Hingerichteter, die damit sozusagen noch eine Extrastrafe erhielten. Auch zu Zeiten Parkinsons war dies noch der Fall. In Städten mit medizinischen Fakultäten führte das Auseinanderklaffen von Angebot und Nachfrage zu einem regen Geschäft mit geraubten Leichnamen, bei dem die Drecksarbeit von Banden sogenannter body snatchers gemacht wurde, auch als resurrection men bezeichnet, obwohl sie mit der Wiederauferstehung nicht mehr gemein hatten als das leere Grab, das sie zurückließen. Ihre Vorgehensweise war durchaus sorgfältig. Zunächst breiteten sie neben dem Grab ein Tuch aus. Danach gruben sie am Kopfende, bis sie auf den Sarg stießen. Nachdem sie dort eine Öffnung angebracht hatten, zogen sie die Leiche mit einem Haken oder einem Strick um den Hals hinauf. Das Leichengewand stopften sie in den Sarg zurück, der Leichnam verschwand in einem Sack und wurde noch in derselben Nacht bei dem jeweiligen Anatom oder Medizinstudenten abgeliefert. Am nächsten Morgen war am Grab nicht zu erkennen, dass der Leichnam verschwunden war.
    Die Justizbehörden reagierten auf diese Praktiken mit einer halbherzigen Duldungspolitik. Wer beim Leichenraub erwischt wurde, hatte mit einem Bußgeld oder einer Gefängnisstrafe zu rechnen, die Arzte aber, welche die Leichname kauften, wurden nicht verfolgt. Obgleich der Markt mit der toten Handelsware feste Abnehmer und Zulieferer kannte, scherten sich die Behörden nur um das Angebot, nicht aber um die Nachfrage. Trotzdem beschwerten sich viele Anatomen darüber, dass die Verbindung mit verbrecherischen Praktiken dem Ruf ihres sonst so achtbaren Berufes schade. Und auch die gerichtlichen Autoritäten beobachteten die Entwicklung mit wachsender Sorge. Die herrschende Praxis des Leichenraubs barg schließlich die Gefahr der Verkürzung in sich. Warum sollte man noch warten, bis der Leichnam von Jones begraben war? Oder noch schlimmer: Warum sollte man warten, bis Jones eine Leiche war? Die Aufschläge, die Anatome für frische Körper zu zahlen bereit waren, begannen Menschen das Leben zu kosten, was sich schwerlich mit dem Ziel medizinischer Forschung vereinigen ließ. 1832 kam es mit der Einführung des Anatomy Act zu einer gesetzlichen Regelung. Von da an konnte die Regierung auch Leichname für die Forschung freigeben, die nicht von Hinterbliebenen eingefordert wurden. In der Praxis handelte es sich um Vagabunden, Landstreicher, Bettler und Obdachlose, von denen es in einer Zeit mit nur geringer sozialer Absicherung so viele gab, dass sich der Mangel schon bald in einen Überfluß verwandelte.
    MALADIE DE PARKINSON
    Mit seinem ruhigen, erzählenden Ton ist Parkinsons Essay ein typisches Produkt des neunzehnten Jahrhunderts. Obwohl er an keiner Stelle ausschweifend wird, nimmt er sich Zeit für das, was er sagen möchte. Der Text ist leidenschaftlich geschrieben, ohne weinerlich zu sein, anschaulich und bildlich, doch nicht gewollt literarisch. Die Beschreibung der >Innenansicht< der Krankheit, also dessen, was es für den Patienten bedeutet, an der >shaking palsy< zu leiden, ist würdig und zurückhaltend. An der beschreibenden und vergleichenden Einleitung des Essay lässt sich ablesen, welche Möglichkeiten das damalige Forschungsinstrumentarium bereithielt. Parkinsons Erkenntnisse beruhen auf Beobachtungen, nicht auf Experimenten oder medizinischen Eingriffen, und selbst die Beobachtungen hat er manchmal aus der Ferne gemacht. Heutzutage würde kein Arzt ein Fallbeispiel anführen, das er auf der anderen Straßenseite gesehen hat. Andererseits gab es einen Faktor, der es Parkinson etwas leichter machte: die extreme Überbevölkerung in dem Stadtteil, in dem er praktizierte. In einer Zeit, in der die Lebenserwartung erheblich geringer war als heute und Alterskrankheiten daher seltener auftraten, standen die Chancen für das Sammeln von illustrative cases< in einer Großstadtpraxis günstiger als auf dem Land oder in einer viel kleineren Praxis für Wohlhabende. Trotzdem: Um im Metropolengewimmel auch das Schlurfen zu bemerken, bedurfte es eines aufmerksamen, klinischen Blicks.
    Die in den Anfängen steckende medizinische Fachpresse nahm den Essay positiv auf. Spätere Autoren zum Thema >shaking palsy< hatten Parkinsons Beobachtungen wenig

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