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Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Titel: Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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krakeelend würden wir ihm in einem übel beleumdeten Viertel begegnen, wo er nicht gerade mit den Wirtschaftskapitänen verkehrt.« 20 Noch eingreifender ist, dass Gage in Damasios Schilderung sozusagen ein Mann von neunerlei Handwerk und achtzehnerlei Unglück geworden ist, als hätte er nach seiner Verletzung wirklich keine einzige vernünftige Entscheidung mehr getroffen und wäre überall entlassen worden oder hätte selbst gekündigt. Tatsächlich kennzeichnete dies jedoch nur sein letztes Lebensjahr, als sich seine Gesundheit schon verschlechtert hatte. Davor arbeitete er einmal anderthalb und dann sieben Jahre für einen einzigen Chef. Ein paar Seiten zuvor gratulierte Damasio noch Harlow zu seinem Bericht aus dem Jahre 1868: »Es handelt sich um einen zuverlässigen Text, mit einer Fülle von Fakten und einem Minimum an Interpretation.« 21
    »EIN MODERNER PHINEAS GAGE«
    In welche Theorie sollte diese Gage-Version passen? Damasio hat sich einen Namen in der Erforschung präfrontaler Läsionen gemacht. In seinen Ausführungen lässt er aus der neurologischen Fachliteratur und der eigenen klinischen Praxis einen ganzen Patiententross vorbeiziehen, jeder Einzelne von ihnen ein Glied in der Argumentationskette, die zu dem Schluss führt, der Verlust von Emotionalität könne eine Quelle irrationalen Verhaltens sein. Eine seiner ausführlichsten Fallstudien widmet Damasio dem bereits erwähnten Elliot. 22 Genau wie bei Gage hatten die Probleme erst nach seiner körperlichen Genesung angefangen.
    Elliot machte beim ersten Kennenlernen einen einnehmenden, möglicherweise leicht gehemmten Eindruck. Er reagierte immer höflich und zurückhaltend, auch wenn schmerzliche Themen zur Sprache kamen. Damasio beschloss, einen sogenannten Stirnlappentest durchzuführen, den Wisconsin Card SortingTest. Hierbei werden Karten nach unterschiedlichen Kriterien angeordnet. Mal ist dies die Farbe der Zeichen, ein anderes Mal ihre Form oder die Anzahl der Einheiten. Der Versuchsleiter kann das Kriterium verändern, und die Testperson muss so schnell wie möglich das Kriterium identifizieren. Patienten mit präfrontalen Schädigungen neigen dazu, zu lange an einem einmal entdeckten Kriterium festzuhalten. 'Aber Elliots Leistungen blieben nicht hinter denen gesunder Testpersonen zurück. Damasio musste den Schluss ziehen, dass der Ursprung der Verhaltensänderung nicht mit den traditionellen neuropsychologischen Instrumenten nachzuweisen war.
    Nach einiger Zeit fiel Damasio auf, dass Elliot von der Wende, die sein Leben genommen hatte, so distanziert sprach, dass es in keinem Verhältnis zur Tragik der Situation stand. Beim Hören von Elliots Geschichten, schreibt Damasio, habe er mehr darunter gelitten als Elliot selbst. Auch im Alltag, so bestätigten Familienmitglieder, war er ausdruckslos und gleichförmig in seinen Gefühlsäußerungen. Laut Damasio zeigte er nur selten, wenn er wütend war, und wenn es doch einmal geschah, war der Ausbruch sogleich wieder vorbei; »im Handumdrehen war er wieder er selbst, ruhig und ohne Groll«. 23
    In einer späteren Phase der Untersuchung hat Damasio mit gezielten Experimenten nach subtilen Abweichungen im Urteilsvermögen Elliots gesucht, in der Hoffnung, eine überprüfbare Parallele für die impulsive Unausgeglichenheit im Verhalten von Phineas Gage zu finden. In einer Reihe von >Glücksspielexperi-menten< wählten Elliot und andere Patienten mit präfrontalen Schädigungen häufiger als eine Kontrollgruppe gesunder Testpersonen Karten aus Stapeln, die kurzfristig höheren Gewinn versprachen, aber langfristig eher ungünstig waren. Das Paradox in seinem Verhalten war, dass Elliot gegen Ende des Versuchs wusste, welche Wahl die bessere war und doch auf der kurzfristig höheren Belohnung beharrte. Damasio schreibt dazu: »Das ist der erste Labortest, in dem Entsprechungen zu Phineas Gages beeinträchtigten Lebensentscheidungen beobachtet wurden.« 24
    Das Kapitel, in dem uns Elliot vorgestellt wird, heißt: »Ein moderner Phineas Gage« - zum wachsenden Erstaunen des Lesers, denn Gage, ob wir ihn nun in der Version Harlows nehmen oder in der Damasios selbst, war nahezu in allem das schiere Gegenteil von Elliot. Gage: impulsiv, grob, schnell frustriert; Elliot: ruhig, ausgeglichen, zurückhaltend. Machte Gage nach seinem Unfall einen enthemmten Eindruck, wurde Elliot durch die Operation gerade gemäßigter. Aber gemeinsam se’i den beiden, so Damasio, dass sie ihre kognitiven Fähigkeiten

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