Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Titel: Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
Vom Netzwerk:
Philosophie und Wissenschaft zu bedienen hatte. Diese »Methoden« sollte er viel später, 1637, in seinem Discours de la methode (auf Deutsch erschienen als Bericht über die Methode) beschreiben, aber der Durchbruch seiner Ansichten versetzte ihn in einen Zustand fieberhafter Aufregung. In seiner Begeisterung glaubte er, ihm seien die Antworten auf seine Fragen durch göttliche Eingebung in einem blendenden Licht enthüllt worden. Nach dieser Vision begab er sich zu Bett und es begann eine unruhige Nacht. Descartes hat die Ereignisse später aufgezeichnet; den Bericht fand man nach seinem Tod in seinen persönlichen Unterlagen. 33
    Zunächst träumt er, er sei von Geistern umgeben und werde von einem Sturm herumgewirbelt. Der Wind presst ihn gegen eine Kirchenwand. Zu seinem Erstaunen sieht er, dass die anderen Leute auf der Straße keine Probleme mit dem heftigen Wind haben, während er selbst sich nur mit größter Mühe auf den Beinen zu halten vermag. Ein Mann reicht ihm eine Melone aus einem weit entfernten fremden Land.
    Descartes wacht auf, bittet Gott, ihn vor Dämonen zu schützen, und dreht sich auf seine rechte Seite. Erneut träumt er, jetzt von einem Donnerschlag, so heftig, dass er aufschreckt. Im Zimmer sieht er einen Funkenregen. Nachdem er abwechselnd sein rechtes und linkes Auge geöffnet hat, merkt er, dass es keine Funken sind, sondern Lichtblitze auf seiner Netzhaut. Beruhigt schläft er wieder ein.
    Der dritte und letzte Traum ist detailliert und friedlich. Auf dem Tisch liegt ein Buch, ein Wörterbuch, wie Descartes zu seinem Vergnügen feststellt. Im selben Moment sieht er ein zweites Buch, eine Poesiesammlung. Er öffnet das Buch auf gut Glück und stößt auf ein Gedicht von Ausonius, mit dem Titel Quod vitae sectabor iter? (deutsch: »Welchem Weg werde ich im Leben folgen?«) Aus dem Nichts erscheint ein Fremder und legt ihm ein Gedicht vor, das mit der Zeile Est & Non (»Ja und Nein«) beginnt. Descartes erkennt es und will ihm das Gedicht in der Poesiesammlung zeigen. Als er es nicht finden kann, beginnt er, Quod vitae sectabor iter?
    zu suchen. Genauso unerwartet, wie er erschienen ist, verschwindet der Mann aus seinem Traum. Auch die Bücher sind weg.
    Descartes wird nicht wach. Im Traum wird ihm bewusst, dass er träumt - ein >luzider Traum< oder Klartraum also, bevor der niederländische Schriftsteller Frederik van Eeden ihm jenen Namen gab -, und beginnt seinen Traum noch im Schlaf zu deuten. Die beiden ersten Träume mit ihren Geistern und Wirbelwinden waren ein Ansporn, seinem Leben eine würdigere Bestimmung zu geben, als er es bislang getan hatte. Das Wörterbuch stand für die gesammelten Wissenschaften, die Anthologie für die Vereinigung von Philosophie und Weisheit. Das Gedicht von Au-sonius enthielt Ratschläge für ein rechtschaffenes Leben. Das Est & Non musste sich auf Wahrheit und Irrtum in der menschlichen Erkenntnis beziehen. Der Blitz, dessen Donner ihn geweckt hatte, bedeutete, dass der Geist der Wahrheit von ihm Besitz ergriffen hatte. Die Ereignisse dieser Nacht fasste Descartes als göttliches Zeichen dafür auf, dass er dazu bestimmt sei, die Einigung aller Wissenschaften zustande zu bringen.
    Dieses große Projekt nahm in den Niederlanden seinen Anfang. 1629 ließ er sich als Renatus Des Cartes, Gallus, Philosophus, an der Universität von Franeker einschreiben, damals zweite Akademiestadt in Holland. Descartes hat die Niederlande mit Ausnahme einiger Reisen nicht wieder verlassen. Um in aller Ruhe seine Philosophie auszuarbeiten, zog er sich in ein Land zurück, »wo die lange Dauer des Krieges eine solche Ordnung hat entstehen lassen, dass die Heere, die man dort unterhält, scheinbar nur dazu dienen, die Früchte des Friedens mit umso größerer Sicherheit genießen zu können. Dort habe ich in der Masse eines großen und sehr aktiven Volkes, das sich sorgsamer um seine Angelegenheiten kümmert als mit Neugier um die der anderen, ohne irgendeine der Bequemlichkeiten, die es in den belebtesten Städten gibt, zu entbehren, so einsam und zurückgezogen wie in den entlegensten Wüsten leben können.« 34
    In den zehn Jahren zwischen 1630 und 1640 konnte Descartes tatsächlich ungestört an dem arbeiten, was er sich als Dreiund-zwanzigjähriger vorgenommen hatte. Die Rente aus einem Erbe bot ihm die Mittel für Forschung und Studien. Er machte Versuche mit Lichtbrechung, sezierte Tiere, beschäftigte sich mit Mathematik und Meteorologie, und dies alles

Weitere Kostenlose Bücher