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Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Titel: Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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Fieber am 15. September endlich sank, war er orientierungslos, sprach unzusammenhängend und sein Gedächtnis, das ihm früher nie Probleme bereitet hatte, war erheblich gestört. Alles, was man ihm sagte, vergaß er fast sofort wieder. Bis Ende September lag er ruhig und schweigend im Bett. Als er wieder zu Kräften kam, fiel seiner Familie auf, dass sein Gedächtnis zwar etwas besser wurde, aber dass er auch Dinge zu erzählen begann, die er sich ausgedacht haben musste. P. sagte, jemand sei gestorben, irgendwo liege eine Leiche, die begraben werden müsse. Immer wieder kam er darauf zurück. Solange er zu geschwächt war, selbst aufzustehen, hatte es genügt, ihm zuzuhören und ihn zu beruhigen. Doch mit fortschreitender Genesung wurden seine Geschichten immer unruhiger und eindringlicher. Ein junger Mann, meinte er, habe ihm einst einen Dienst erwiesen, und nun sei dieser gestorben und er fühle sich verpflichtet, für ein anständiges Begräbnis zu sorgen. Zuerst glaubte er noch, der Tote liege irgendwo bei ihm im Haus. Später war P. davon überzeugt, dass sich die Leiche im Haus eines gewissen Medynzeff am Pokrovski-Boulevard befinde. Es werde höchste Zeit, sich um das Begräbnis zu kümmern. Die Familie stand vor einem schwierigen Dilemma. P.s Gedächtnis war größtenteils wiederhergestellt, sein Verstand war rege, seine Kondition verbessert. Da war einzig diese isolierte Wahnidee, die er sich nicht ausreden ließ. Aus Verzweiflung beschloss die Familie, mit ihm zu dem besagten Haus zu fahren, damit er sich selbst davon überzeugen konnte, dass es dort keine Leiche gab. Am Haus angekommen, rief P. den Hausmeister zu seinem Fuhrwerk und fragte nach dem Verstorbenen. Korsakow: »Der Portier war natürlich äußerst erstaunt und erwiderte, es sei gar niemand da gestorben. Der Patient kehrte nach Hause zurück und blieb lange in Gedanken versunken, darauf aber modifizierte er seine Wahnidee folgendermaßen: er sagte nunmehr, der Tote sei bereits beerdigt, und nun sei es an ihm, Wohnungsmiete und Begräbniskosten zu bezahlen. Auch dieser Gedanke verfolgte ihn äußerst hartnäckig und tagtäglich, besonders gegen Abend, forderte er von den Angehörigen, sie sollten ihn hingeleiten, um den Mietzins zu entrichten.« 13
    Dies alles ereignete sich Mitte Oktober. Am 21. Oktober konnte Korsakow den Patienten persönlich untersuchen. Seinem ersten Eindruck nach war P. vollkommen genesen. Er wusste, wo er sich befand, dass ein Arzt gekommen war, welcher Arzt ihn behandelt hatte, und auch, dass er schwerkrank gewesen war. Erst nach längerer Befragung merkte Korsakow, dass sein Gedächtnis noch immer sehr schlecht war. Im Gespräch wiederholte er sich oft und wusste nicht im Geringsten, was er an dem Tag gemacht hatte. Auch Korsakow erzählte er von der offenen Rechnung. Er habe die Wohnung selbst gemietet, der junge Mann habe in Beziehung zu seinen Kindern gestanden, die Begräbniskosten müssten auch noch beglichen werden, sie beliefen sich auf den und den Betrag -alles in ruhigem und sachlichem Ton. Zu Hause war das anders, wie Korsakow von der Familie erfuhr. Wenn P. von den Rechnungen sprach, regte er sich so sehr auf, dass man größte Mühe hatte, ihn wieder zur Räson zu bringen. Die Familie berichtete ihm auch, diese Idee sei womöglich die Folge eines Ereignisses, das sich acht Jahre zuvor zugetragen hatte. Die Kinder des Patienten hatten sich eine gefährliche Krankheit zugezogen und mussten wegen der Ansteckungsgefahr in einem speziellen Haus gepflegt werden. P. hatte dieses Haus selbst gemietet, es befand sich nicht weit von dem Haus Medynzeff. Die Kinder hatten die Krankheit überlebt und waren wieder nach Hause zurückgekehrt.
    Kurz nach Korsakows Besuch wurde der Zustand unhaltbar. P. war wieder so gut bei Kräften, dass er sich nicht mehr aufhalten ließ. Die Famlie ersann eine List. Mit dem Hausmeister des Hauses Medynzeff vereinbarte man, er solle erklären, der gesuchte Bewohner sei umgezogen. Er solle die Adresse des Arztes angeben, der P. behandelte. Auch dort informierte man die Bewohner. Als P. über das Haus Medynzeff in der Wohnung des Arztes landete, hörte er, der Herr, den er suche, sei nicht zu Hause, habe aber Anweisungen gegeben, das Geld in Empfang zu nehmen. P. bezahlte und kehrte beruhigt heim. Aber nach einigen Tagen wurde er wieder unruhig und wollte gern noch einmal zu Medynzeffs Wohnung: Dort lägen noch einige Sachen des jungen Mannes, um die er sich kümmern müsse. Nach mehreren

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